Parteifrei
Dass die politischen Parteien an der staatlichen Willensbildung „mitwirken“, wie ihre Aufgabe auf der Homepage des Parlaments beschrieben wird, ist eine Untertreibung. Tatsächlich wird die Politik von ihnen maßgeblich bestimmt, tatsächlich bloß Mitwirkende sind die Interessenvertretungen, die Nicht-Regierungsorganisationen und die Medien. Der Einfluss der Bürgerinnen und Bürger ist im Wesentlichen auf die alle fünf Jahre stattfindenden Wahlen beschränkt.
„Die Entscheidung können wir getrost den Bürgerinnen und Bürgern überlassen.“
Wer nur die Bundes- und die Landespolitik im Kopf hat, ist natürlich irritiert, wenn in unseren Gemeinden die Bevölkerung Weichenstellungen mit Volksabstimmungen selbst in die Hand nimmt oder in kleineren Gemeinden Parteien gar keine Rolle spielen. Das ist im Vorfeld der Gemeindevertretungswahlen gut zu beobachten.
So wird kritisiert, dass es in 14 Gemeinden überhaupt keine Wahlvorschläge gibt, eine Demokratie setze Wahlmöglichkeiten voraus. Das übersieht aber, dass es in einer Gemeinde mit beispielsweise 300 Wahlberechtigten ebensoviele Wahlmöglichkeiten gibt, weil jeder Bürger seinen eigenen Wahlvorschlag auf den Stimmzettel schreiben kann. Die Nennungshäufigkeit entscheidet dann darüber, wer in die Gemeindevertretung einzieht. Es liegt auf der Hand, dass das natürlich nur in Gemeinden funktioniert, in denen sich die Leute noch kennen und beurteilen können. In weiteren 20 Gemeinden gibt es mit einer Einheitsliste nur einen einzigen Wahlvorschlag, dessen Kandidaten häufig durch eine durchaus sinnvolle Vorwahl ermittelt wurden. Aber auch da gibt es durch die Vergabe von Vorzugsstimmen Wahlmöglichkeiten – aber eben nur zwischen Personen und nicht zwischen Parteien. Die Erfahrung zeigt, dass die Wählerinnen und Wähler von dieser Möglichkeit regen Gebrauch machen und Einheitslisten ordentlich durcheinandergewirbelt werden können.
In größeren Gemeinden braucht es natürlich eine Strukturierung des personellen Angebots, die in der Regel den klassischen Parteimustern folgt. Das hat aber den Nachteil, dass man bei der Auswahl der Kandidaten auf den Vorschlag der gewählten Partei beschränkt ist. Bei unseren deutschen und Schweizer Nachbarn ist hingegen eine parteiübergreifende Personenwahl möglich.
Auch die Kritik, in kleineren Gemeinden gebe es mangels Wahlvorschlägen von Parteien keine oppositionelle Kontrolle, geht ins Leere. Da gibt es diesen Gegensatz von Regierungs- und Oppositionsparteien mit vorgefassten Fraktionsmeinungen eben von vornherein gar nicht. Das heißt, dass die Sacharbeit im Vordergrund steht. Viele Konflikte in den Gemeinden entstehen ja gerade dadurch, dass unterschiedliche Meinungen durch Parteifraktionen zu ideologischen Prestige-Standpunkten werden. Die Entscheidung darüber, wie die Wahl der Gemeindevertretung erfolgt, können wir getrost den Bürgerinnen und Bürgern selbst überlassen.
Jürgen Weiss vertrat das Land als Mitglied des Bundesrates zwanzig Jahre lang in Wien und gehörte von 1991 bis 1994 der Bundesregierung an.
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