Die Gewohnheit
Es geht nichts über die Gewohnheit. Die Gleichförmigkeit. Den Tag ohne Zufall, weil Zufälle manchmal Tragödien sind. Wenn ein Mensch stirbt, den man lieb gehabt hat. Etwas, das unerwartet geschah.
Ich lobe mir die Frühstücke mit meinem Mann. Er hat mir den Platz am Fenster überlassen. So nah ist der Apfelbaum, dass ich ihn angreifen kann.
„Sie wusste es nicht. Sollte sie einer Sache zustimmen, die sie nicht kannte?“
„Darf ich dir noch Kaffee nachschenken?“
„Magst du ein Ei?“
„Wie schmeckt dir das Brot? Ich weiß, du magst kein dunkles Brot, aber dieses hier ist besonders.“
„Alles wunderbar“, sage ich. „Heute wird ein guter Tag, das spüre ich. Schau, der Nebel wird, ich denke, um elf Uhr verschwunden sein. Wie hast du geschlafen?“
„Eingeschlafen bin ich gut, dann aufgewacht. Ich bin an den Schreibtisch und hab im 2. Kapitel korrigiert.“ Sagt mein Mann.
„Ich hoffe, du hast nichts gestrichen“, sage ich.
„Doch habe ich, es war notwendig, und einiges dazugeschrieben.“
„Du hast es aber noch. Du könntest es wieder einfügen. Magst du mir vorlesen?“
„Am Abend, gern. Hast du geträumt?“, fragt er.
„Ich habe gelesen und dann vom Gelesenen weitergeträumt. Der Gelehrte ist gestorben, nachdem er seine junge Frau zu seiner Verfügung erzogen hatte. Er sagte erzogen. Seine Frau war achtzehn, er beinahe fünfzig. Er hatte ihr aufgetragen, darüber nachzudenken, was sie zu antworten gedenke, nämlich auf seine Frage, ob sie dem Kodizill zustimmen würde, nachdem er gestorben ist. Er war nämlich herzkrank. Das brachte die junge Frau in große Angst. Was ist ein Kodizill? Sie wusste es nicht. Sollte sie einer Sache zustimmen, die sie nicht kannte? Das eben war seine Grausamkeit. Sie marterte sich, dachte, er wird meinen, ich solle seine Arbeit, wie ich es von ihm gelernt habe, überprüfen und dann veröffentlichen. Aber das kann ich doch nicht! Oder – das dachte sie sich in ihrem Innersten, voller Angst – oder meint er, ich darf den jungen Mann nicht mehr sehen, dessen reiner Anblick mich glücklich macht. Sie hatte keine Beziehung mit diesem jungen Mann, nichts, trotzdem war er ihr verbunden …“
„Und was hast du weitergeträumt an dem Plot?“
„Dass der grausame alte Sack in seinem Zusatz zum Testament vor Zeugen schreibt, sie darf den jungen Mann niemals heiraten, denn würde sie das, käme sie um die Erbschaft, immerhin ein Vermögen … Ich habe dann um fünf Uhr in der Früh weitergelesen, und, siehe da, so war es geschrieben worden, ich hatte richtig geträumt …“
„Diese Zeiten sind vorbei“, sagt mein Mann. „Du liest einen altmodischen Roman.“
„Ist noch Kaffee da?“
„Ich glaube, ich esse noch ein Butterbrot mit Himbeermarmelade. Deine ist die beste“, sagt mein Mann, „so fruchtig und nicht zu süß.“
Monika Helfer ist Schriftstellerin und lebt in Hohenems.
Kommentar