Die neuen Hochgebirgler

In Hochgebirgstälern wie zum Beispiel dem Montafon lassen sich zunehmend sogenannte Wohlstandszuwanderer nieder.
Schwarzach Die Bevölkerung im Montafon ist in den vergangenen 13 Jahren leicht geschrumpft. Im Jahr 2006 lebten 16.493 Menschen im Hochgebirgstal, 2019 waren es nur noch 16.420. Einer der Gründe für den Bevölkerungsrückgang ist Abwanderung. Nicht wenige Montafoner haben ihren Arbeitsplatz außerhalb des Tales. Manchen ist der Arbeitsweg zu lang. Deshalb ziehen sie in den Walgau oder ins Rheintal. Einige würden liebend gern in ihrer Heimat bleiben. Aber wegen der Arbeit sind sie quasi gezwungen, wegzugehen.
Andererseits ist das Montafon – und mit ihm andere periphere Alpenregionen – seit einigen Jahren mit einem neuen Phänomen konfrontiert: mit der sogenannten Wohlstandsmigration. Savina Konzett (28) aus Nüziders hat sich mit diesem Phänomen in ihrer Diplomarbeit beschäftigt. Die Orts- und Stadtentwicklerin erklärt, was darunter zu verstehen ist: „Damit ist die Zuwanderung aus urbanen Ballungsräumen außerhalb des Alpenraums gemeint. Gemeint sind jene Zuwanderer, die gut ausgebildet sind und wegen der Lebensqualität und der Freizeitmöglichkeiten in Hochgebirgsregionen ziehen. Sie sind so privilegiert, dass sie es sich aussuchen können, wo sie leben möchten. Einige von ihnen bringen sich sogar ins Dorfleben ein und engagieren sich ehrenamtlich. Mancherorts hauchen sie totgeglaubten Dörfern neues Leben ein.“
“Bartholomäberg kann mit einem wunderbaren Ausblick und vielen Sonnenstunden aufwarten.”
Savina Konzett, Orts- und Stadtentwicklerin
Konzett forschte im Montafon im Zuge ihrer Diplomarbeit einige sogenannte „New Highlander“ (neue Hochgebirgler) aus. Darunter war eine Managerin aus Deutschland, die nicht mehr so viel arbeiten wollte und nach Gaschurn zog. „Zuerst hat sie auf einer Alpe gearbeitet. Dann war sie als Rezeptionistin in einem Hotel in Gaschurn beschäftigt.“ Außerdem machte Konzett in Bartholomäberg ein Apothekerpaar ausfindig, welches in Deutschland Apotheken betrieben hatte und im Ruhestand ins südlichste Tal von Vorarlberg zog. „Sie haben ihren Lebensmittelpunkt dorthin verlagert, wo es ihnen gefällt. Bartholomäberg kann ja mit einem wunderbaren Ausblick und mit vielen Sonnenstunden aufwarten.“ Konzett glaubt, dass die Zahl der Wohlstandsmigranten in den nächsten Jahren zunehmen wird.
“Hier zu wohnen ist ein Privileg”

Über eine Freundin aus der Schweiz entbrannte in ihm die Liebe zum Montafon. „Sie hatte im Tal Verwandte, die wir öfters besuchten.“ Bald verbrachte der gebürtige Konstanzer und studierte Jurist Patrick Rösler (52) seine gesamte Freizeit im Tal inklusive seiner Urlaube. „Im Winter ging ich Ski fahren, im Sommer wandern.“ Vor zehn Jahren kaufte er in Bartholomäberg ein altes Montafonerhaus, das er sanierte. „Ab da war ich fast nur noch hier.“ Rösler führt seit 20 Jahren in Heidelberg eine Firma. „Ich organisiere Weiterbildungsveranstaltungen für Banken.“ Er kann häufig aus dem Homeoffice arbeiten. „Alle zwei Wochen bin ich aber für zwei Tage in Heidelberg.“ Weil er in seinem Haus selbst Ferienwohnungen vermietete, kam er auf eine neue Geschäftsidee. Er und seine Frau Daniela – er heiratete die Montafonerin vor drei Jahren – gründeten die Firma „Silberberg Montafon“. „Wir verwalten für andere Ferienwohnungen.“ Rösler, der sich den hiesigen Dialekt fabelhaft angeeignet hat, möchte im Montafon alt werden. „Mich kriegt da keiner mehr weg.“ Denn es sei ein Privileg, hier zu wohnen. Rösler schwärmt von der schönen Natur, von der guten Luft und vom schönen Ausblick. Und weil er will, dass das so bleibt und das Tal durch den Tourismus nicht zerstört wird, engagiert er sich bei Montafon Tourismus. „Ich bin Aufsichtsrat und im Tourismusbeirat. Auf diese Weise kann ich dem Tal etwas zurückgeben.“
“Ich möchte hier alt werden”

Vor mehr als 20 Jahren verschlug die Arbeit den gebürtigen Wiener Alfred Edlinger (63) ins Montafon. Der studierte Maschinenbauer begann 1998 als Geschäftsführer im Zementwerk Lorüns zu arbeiten. „Dort habe ich meine Erfindungen weiterentwickelt und nachgewiesen, dass sie funktionieren.“ Edlinger erfand neue Zementsorten und neue CO2-minimierte Verfahren zur Herstellung von Zement. 600 Patente kann er auf diesem Gebiet vorweisen. Im Jahr 2000 erstand der Erfinder ein kleine Berglandwirtschaft am Innerberg in Bartholomäberg. „Wenn man hier arbeitet, muss man eine feste Unterkunft haben.“ Edlinger betrieb die Landwirtschaft einige Jahre mit seiner Familie im Nebenerwerb. „Wir haben 15 Schafe gehalten. Es war ein schöner Ausgleich für mich.“ Sein neues Heim renovierte er vollständig. Der Erfinder, der sich im Jahr 2005 selbstständig machte, richtete im 300 Jahre alten Montafoner Haus ein Büro ein und im Stall ein Labor, in dem er Grundlagenversuche durchführt. Die Edlingers lebten sich schnell ein in ihrer neuen Heimat. Edlinger begann sich im Pfarrkirchenrat zu engagieren und beim Gottesdienst Lesungen zu halten. Heute ist die Familie im Montafon bestens vernetzt. „Wir haben viele soziale Kontakte. Das ist entscheidend und wirkliche Lebensqualität.“ Deshalb möchte der Ostösterreicher hier alt und am Innerberger Friedhof begraben werden.