Dieter Reimers hat die Krankensalbung überlebt

Er hat einst Romy Schneider die Post ins Zimmer gebracht und hilft nun anderen Menschen.
BLUDENZ Es ist schon eine Weile her, als Dieter Reimers im Hotel Sacher prominente Gäste bedient hat. Leopold Figl, Julius Raab, Bruno Kreisky waren darunter. Auch Helmut Qualtinger und Romy Schneider. Mehr als sechs Jahrzehnte und heftige Schicksalsschläge später ist Dieter Reimers nun als ehrenamtlicher Mitarbeiter einer kleinen, privaten Hilfsorganisation im Dauereinsatz.
Da sitzt er nun, streicht über seinen grauweißen Vollbart und lässt Stationen seines Lebens Revue passieren. Sein Leben hat am 7. Jänner 1944 in Wien begonnen. Der Zweite Weltkrieg war in seiner letzten Phase. Die Alliierten starteten mit der Bombardierung der Stadt. Und Dieter verlor seinen Vater. Der Deutsche gilt seit 1944 als vermisst.
So wuchs Dieter mit seiner Mutter – sie war Wienerin – und einem älteren Bruder im 9. Bezirk auf. Als Kind erlebte er die Besatzungszeit unter den Sowjets. Seine Erinnerung daran begrenzt sich darauf, dass die sowjetischen Soldaten stets freundlich zu den Kindern waren.
Kreiskys Haare
Als er im legendären Sacher eine Lehrausbildung begann, war er 15. Eineinhalb Jahre füllte er als Portierjunge die Karteikarten der Gäste aus, bediente die Telefonzentrale und betreute die Liftboys. Im letzten Teil der Lehrzeit lernte er im Café Sacher die Kunst des Servierens. Für den damaligen Kanzler Julius Raab und Außenminister Leopold Figl musste Dieter Reimers Tabak besorgen. Raab hat „Krumme“ geraucht, wie man die dünnen Virginiazigarren nennt. „Herr Figl hat sich die a3-Zigaretten reingezogen“, erzählt Dieter. Sind ,Krumme‘ und a3 im Sacher nicht lagernd gewesen, wenn die beiden Herren danach verlangten, musste Portier Dieter in die Trafik gehen. Was Kreisky betrifft, erinnert sich Dieter an dessen „noch roten Haare“. Auf eine spezielle Zimmerserviceaktion führt eine Fingernarbe zurück: „Herr Qualtinger trug mir auf, mit einem Messer ein Loch in das Revers seines Anzugs zu schneiden, in das er eine Rose einstecken wollte. Dabei schnitt ich mir in den Finger.“ Zu seinen schönsten Begegnungen zählen die mit Romy Schneider, die öfters im Sacher logierte: „Ich habe ihr die Post ins Zimmer gebracht. Sie war richtig lieb.“
Nach dem Abschluss der Ausbildung sollte Dieter Reimers im Sacher als Portier arbeiten. Er aber wollte „ein bisserl was anderes sehen“ und sammelte Erfahrung in anderen Nobelhotels und in Nobelrestaurants, bis er schließlich im Winter 1970/1971 in Vorarlberg gelandet und geblieben ist. In Zürs hat er seine große Liebe gefunden: Elfriede. Dieter arbeitete als Oberkellner im Hotel Alpenrose, Elfriede führte eine eigene Schneiderei. „Sie kam oft in die Alpenrose essen“, erzählt Dieter. „Und irgendwann hat es gefunkt.“ Geheiratet wurde 1973. Im gleichen Jahr kam Sohn Christian zur Welt, zwei Jahre später Tochter Michaela. Auf seine Kinder, die in Wien leben, ist Dieter stolz. Christian ist Astrophysiker, Michaela praktiziert als Tierärztin.
Inzwischen hat sich die Familie Reimers in Bludenz niedergelassen, weil Dieter Fachlehrer an der dortigen Tourismusschule wurde. 2004 ging er nach 23 Jahren Unterricht in Pension. Kurze Zeit später teilte man ihm die Diagnose Darmkrebs mit. Es folgten Chemotherapie, Bestrahlungen und Operationen: „Einmal wurde ich eine Woche in künstlichen Tiefschlaf versetzt, zweimal bekam ich einen künstlichen Darmausgang.“ Wochenlang sei er auf der Intensivstation des Bludenzer Spitals gelegen. „Einmal war mein Zustand so kritisch, dass mir ein Pater die Krankensalbung gab.“ Dieter hat überlebt.
Noch hatte er sich nicht von den Folgen der Krebserkrankung erholt, da passierte an einem Tag im Jahr 2006 ein weiteres Unglück. Bei einem Spaziergang mit seiner Frau rutschte ein Holzbalken, der nicht richtig gesichert auf einem Kleinlaster geladen war, ab und traf ihn im Rücken. Nach der Notoperation – Entfernung der Milz – landete Dieter wieder auf der Intensivstation. Dort lernte er den Pfleger Joe Fritsche kennen. „Sein Engagement für die Patienten, aber auch für seinen Verein ‚Stunde des Herzens‘ haben mich stark beeindruckt.“ 2011, bei Dieters drittem Aufenthalt auf der Intensivstation im Krankenhaus Bludenz, war nicht er Patient, sondern Elfriede, seine Frau. Sie erlitt einen Herzinfarkt und starb. Nach dem Begräbnis fiel Dieter in ein tiefes Loch, aus dem er allein nicht mehr herausfand. „Es waren Joe Fritsche und seine Frau Ines, die mir halfen, indem sie meinen Alltag mit Aufgaben ausfüllten.“ Ines, tätig für „Tischlein deck dich“, teilte Dieter in der Lebensmittelausgabe ein, Joe ließ ihn bei „Stunde des Herzens“ mithelfen. Dort engagiert er sich weiterhin. Denn: „Ich will etwas Sinnvolles aus meinem Leben machen.“ Außerdem ist die Hilfsorganisation, die sich vornehmlich um schwerkranke und behinderte Kinder kümmert, seine zweite Familie geworden.
Zeit schenken
Zwischenzeitlich zum Vizeobmann ernannt, hat Dieter das Projekt Altersarmut mitgegründet. Dabei werden Mindest- und Null-Euro-Pensionisten mit Lebensmitteln und Zeit beschenkt: „Ein Schwätzle ist genauso wichtig wie Lebensmittel bringen.“ Das gilt auch für die jungen Schützlinge: „Gerade heute habe ich wieder ein krankes Kind in die Arme schließen können.“ So wünscht sich Dieter Reimers, „selber gesund zu bleiben, damit ich noch lange für Menschen da sein kann, die Hilfe brauchen“.
Zur Person
Dieter Reimers
Geboren: 7. Jänner 1944
Wohnort: Bludenz
Berufe: Kellner, Fachschullehrer, Pensionist
Familie: Witwer, eine Tochter, ein Sohn, zwei Enkel