„Wir wissen nicht, wie lange es dauert“

Public-Health-Experte Fidler über die Einschränkungen, die Studie der Regierung, Südkorea und Tirol.
Hörbranz Dr. Armin Fidler arbeitete lange als Public-Health-Experte für die Weltbank. Mittlerweile ist der Mediziner nach Österreich zurückgekehrt. Er lebt in Hörbranz und forscht und unterrichtet unter anderem am MCI Innsbruck. Neben dem Universitätsbetrieb berät er die Vorarlberger Landesregierung in der Coronakrise. Außerdem spricht er im VN-Podcast regelmäßig über das Virus. Im Interview erklärt er, in welcher Phase wir uns derzeit befinden und spricht über Tirol, Südkorea sowie die psychischen Folgen der Isolation.
Welche Möglichkeiten gibt es derzeit, um die Krise zu bewältigen?
Wir haben schon in verschiedenen Podcast-Folgen über die Optionen gesprochen. Aber die Optionen sind nicht mehr relevant, Österreich hat sich für einen Weg entschieden. Diesen Weg verfolgen auch die meisten anderen Länder, nämlich die Hammer-und-Tanz-Strategie. Es geht darum, dass man die erste große Kurve der Epidemie mit dem Hammer niederschlägt. Das hat vielleicht keine Auswirkungen auf die absoluten Zahlen an Infektionen und Todesfällen, aber man kann sie mit den vorhandenen Ressourcen managen.
Es ist immer wieder von Containment die Rede. Was bedeutet das?
Das bedeutet, das Virus im Zaum zu halten. Im Prinzip ist es die Tanz-Strategie. Dazu benötigt es ein sehr gutes Datenmanagement, um zu sehen, wo neue Fälle auftreten, ob es Hotspots gibt, woher sie kommen und wie der Verlauf der Epidemie auf niedrigem Niveau weitergeht. In China, Singapur und Teilen Koreas sieht man, dass es immer wieder kleinere Ausbrüche gibt, aber keinen Peak (Höhepunkt) mehr. Das geht nur, wenn man die Epidemie intensiv verfolgt. Auch wir haben den Peak abgeflacht aber es wäre falsch, zu glauben, dass das Ganze überstanden ist. Es wird uns begleiten bis wir eine Impfung haben. Im Moment sind ungefähr 115 Impfprojekte bekannt. Wir hoffen, dass einige davon erfolgreich sind.
Wie lange darf die Großmutter ihre Enkelin nicht in den Arm nehmen?
Das bereitet vielen Leuten Kopfzerbrechen. Die Frage lautet: Wie viele und welche Maßnahmen können wir eineinhalb Jahre fortsetzen? Das werden nicht alle sein. Alle haben den Zweck, die Risikopersonen möglichst zu 100 Prozent zu schützen. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass man alle eineinhalb Jahre isolieren kann. Auch die Frage nach den Kollateralschäden ist wichtig.
Meinen Sie damit psychische Folgen der langen Isolation?
Leider gerät es immer wieder in den Hintergrund, weil man diese Schäden wenig messen kann. Die psychologischen Folgen von Einsamkeit bei alten Menschen oder von geschlossenen Kindergärten und Schulen bei Kindern kann man nicht in Zahlen benennen. Tote, Infizierte, Krankenhausaufenthalte hingegen schon. Die Diskussion ist aber nicht weniger wichtig.
Muss man da am Ende auch abwägen?
Absolut, wir müssen permanent abwägen. Das gilt auch für die medizinische Versorgung. Wir wussten nicht, wie groß der Peak wird und haben Reservebetten geschaffen. Wahloperationen wurden zurückgefahren. Nun können diese Kapazitäten wieder langsam hochgefahren werden und wir können beginnen, die Bevölkerung wieder optimal zu versorgen. Aber wir haben immer noch ein paar Hundert Betten in der Dornbirner Messe als Versicherung aufgestellt, falls wir sie brauchen.
Die Bundesregierung hat in der Vorwoche eine Studie mit rund 1500 Coronatests präsentiert. Zum Testzeitpunkt waren zwischen 12.000 und 67.000 Menschen infiziert. Wie aussagekräftig sind solche Ergebnisse?
Sie hat eine limitierte Aussagekraft. Es heißt eben nichts anderes, als dass wir ungefähr wissen, wie viele Menschen in Österreich in der ersten Aprilwoche infiziert waren. Wäre die Zahl extrem hoch gewesen, hätte man sich das anschauen müssen. Aber eigentlich hat diese Information relativ wenig praktische Bedeutung. Die wesentlich wichtigeren Informationen erhalten wir durch die Antikörpertests, sobald sie möglich sind.
Bundeskanzler Sebastian Kurz hat aus den Ergebnissen geschlossen, dass das Konzept der Herdenimmunität nie funktioniert hat. Kann man das aus der Studie herauslesen?
Eigentlich nicht. Ich möchte nicht mit Fingern auf jemanden zeigen. Auch der Bundeskanzler ist sicherlich gut beraten und hat unglaublich viel dazulernen müssen. Dass bei einem sehr komplexen Thema in der Kommunikation manchmal Unschärfen entstehen, ist verständlich.
Ohne Herdenimmunität wird es wahrscheinlich nicht gehen, oder?
Wir wissen nicht, wie lange es dauert. Dass die Maßnahmen gut funktionieren, ist eine gute und eine schlechte Nachricht. Wir haben Neuinfektionen verhindert und Menschen geschützt. Aber ein großer Teil hat noch keine Erfahrung mit dem Virus gemacht. In Tirol hört man, dass schon jeder Siebte infiziert gewesen sein soll. Wenn das stimmt, wäre man dort bei einer relativ hohen Durchseuchung von 15 Prozent.
In Südkorea sollen sich Menschen angesteckt haben, die das Virus bereits überwunden haben. Stimmt das?
Die meisten Experten gehen davon aus, dass die ersten Tests möglicherweise falsch negativ waren. Jeder Test kann zu einem gewissen Prozentsatz etwas falsch anzeigen. Vor allem bei frühen Tests kann das Ergebnis auch falsch gewesen sein. Es scheint also an der Technologie zu liegen.