Corona bringt Familien an Belastungsgrenze

Vorarlberg / 24.04.2020 • 06:00 Uhr / 5 Minuten Lesezeit
Corona bringt Familien an Belastungsgrenze
Vorarlberg möchte zum chancenreichsten Lebensraum für Kinder werden. AP

Kinder- und Jugendanwalt Michael Rauch warnt vor den Folgen für Familien.

Feldkirch, Dornbirn Der Dornbirner Kürsat Ocak besucht seinen Sohn mindestens einmal pro Woche. Der 40-Jährige muss dafür nach Friedrichshafen fahren, wo sein Sohn bei seiner Mutter lebt. „Ein Pflichttermin, wir freuen uns beide immer sehr“, erzählt der Dornbirner. Jetzt haben sie sich schon lange nicht mehr gesehen. Vor einer Woche dachte er, nun klappt es wieder. „Ich war mir so sicher und habe meinem Sohn versprochen, dass ich komme. An der Grenze haben sie mich nicht durchgelassen. Mein Sohn war so enttäuscht, er redet nicht mehr mit mir.”

Ungleichbehandlung

Für Pendler ist es kein Problem, über die Grenzen zu fahren. Nun berät die Politik über Grenzöffnungen für Tourismus. Und Eltern? „Das ist unfair gegenüber allen Menschen, die ihre Liebsten besuchen möchten“, ärgert sich Ocak. Er ist nicht alleine, wie Kinder- und Jugendanwalt Michael Rauch berichtet: „Wir haben viele Rückmeldungen von Menschen, die sich über Ungleichbehandlung ärgern. Ich habe den Eindruck, dass die Tourismusregelung wichtiger ist als die Frage der familiären Beziehungen.“

Geschlossene Grenzen gehören zu den vielen Problemen, mit denen Familien derzeit kämpfen müssen, warnt Rauch. “Eingeschränkte Unterstützung und fehlende soziale Kontakte bringen Familien immer mehr an die Belastungsgrenze.” Dass der Hilfsfonds für Familien von 30 auf 60 Millionen Euro erhöht wurde, sei ein erster Schritt, aber im Vergleich zu den Milliardenbeträgen in anderen Bereichen ein lächerlicher Betrag. “Zudem sind jene Familien ausgenommen, die es am nötigsten hätten.” Auch Christian Beiser von der Caritas-Beratungsstelle für Existenz und Wohnen mahnt: “Wir müssen alles unternehmen, um Kinderarmut zu vermeiden.” Im vergangenen Jahr hätten 2858 Menschen um Unterstützung angefragt. “Die Caritas erwartet durch Corona rund 500 Haushalte, die in den kommenden Monaten eine zusätzliche Hilfe benötigen”, befürchtet Beiser.

Fehler in der Kommunikation

Bei der Kinderbetreuung läuft für Michael Rauch einiges schief. „Die Zahl der Menschen, die eine Betreuung in Anspruch nehmen, könnte deutlich erhöht werden.” Bisher würden viele Eltern davon ausgehen, dass die Betreuung nur für Eltern mit systemrelevanten Berufen gilt. “Hier braucht es rasche Information.” Außerdem dürften Eltern nicht in einen Rechtfertigungsdruck gebracht werden. “Den spüren wir deutlich.” Bundeskanzler Sebastian Kurz betont oft, dass Kinderbetreuung keine Schande sei, wenn man es zu Hause nicht mehr aushält. “Da muss man die Wortwahl ändern und einfach sagen: Wir haben Platz, wir können Betreuung anbieten”, fordert der Kinder- und Jugendanwalt.

Er betont: “Die Maßnahmen greifen. Man darf die bisherigen Erfolge in der Bekämpfungen der Pandemie nicht infrage stellen.” Aber in einigen Bereichen müsse nun rasch gehandelt werden. Vier Beispiele:

Freiräume werden dringend benötigt

Für Rauch steht fest: “Es muss rasch klare Voraussetzungen insbesondere für Jugendorganisationen wie Pfadfinder, Alpenverein und katholische Jugend geben.” Jugendzentren seien zu, Skaterplätze ebenfalls, Jugendliche dürfen sich nicht zum Spazierengehen treffen. “Die Möglichkeiten, sich zu treffen und von der Familie abzugrenzen, gibt es nicht. Gerade in der Pubertät ist das ein Problem.”

Kinderbetreuung für alle sicherstellen

Rauch kenne Fälle von Eltern, die mit der Kindergartenleitung diskutieren mussten, ob ihr Kind in Betreuung darf oder nicht. “Uns sind auch Schulen bekannt, die Nein gesagt haben.” Er fordert ein gemeinsames Signal von den Leitern der Einrichtungen, unterstützt von Bürgermeistern und der Landesregierung. “Sie sollen signalisieren: Eure Kinder sind willkommen.” Das sei wichtig für Eltern und Kinder.

Maßvolle Reaktionen bei Übertretungen

“Die vielen Bestimmungen stellen besonders Jugendliche vor große Herausforderungen”, ist Michael Rauch überzeugt. Vielen sei nicht klar, was erlaubt ist und was nicht. “Wir haben Erststrafen erlebt von 450 Euro und mehr.” Für junge Menschen ohne Einkommen sei das sehr viel. “Wir haben viele Fälle bei uns liegen. Wir haben uns dafür eingesetzt, dass nicht sofort so hart gestraft wird.”

Den Vereinen wieder Leben einhauchen

“Da zerbrechen sich Leute den Kopf, wie man Bundesligaspiele für zehn Vereine möglich macht, aber zum Breitensport gibt es nichts”, sagt Rauch. Man müsse kreativ sein. Das gelte für alle Vereine. “Ehrenamtliches Engagement muss auch in der Krise möglich sein.” Der Eindruck, dass für den Spitzensport rascher Rahmebedingungen gefunden werden als für das Vereinsleben, sei zu vermeiden.

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