Den Blick weiten
Der Bundesregierung ist Mitte März keine andere Wahl geblieben, als Österreich stillzulegen. Es war fünf nach zwölf: Besonders in Tirol hatte auch sie zu lange weggeschaut. Covid19 war auf dem Weg zu einer gesundheitlichen Katastrophe. Zur Rettung vieler Menschenleben war es also nötig, das gesamte Gesellschaftsleben zu stoppen. Ergebnis: Im Vergleich zu einigen anderen Ländern steht Österreich recht gut da gesundheitlich. Bisher gibt es relativ wenige Todesfälle.
Man muss jedoch vorsichtig bleiben und auf der Liste möglicher Entwicklungen immer auch eine zweite Welle haben, die viel gefährlicher werden könnte, weil sie unter Umständen zum Beispiel nicht nur von einem, sondern von vielen Ischgls ausgeht. Und überhaupt: Das Virus könnte mutieren. Und so weiter und so fort.
Vorbild Schweiz
Vor diesem Hintergrund wird es notwendig, den Blick zu weiten: Nicht mehr nur Virologen und Mathematiker sind gefragt, sondern auch Ökonomen, Soziologen, Pädagogen, Psychologen und viele andere mehr. Man muss sich wundern, dass es dazu – im Unterschied zur Schweiz etwa – noch keinen fächerübergreifenden Expertenrat gibt, der auch eigenständig und öffentlich sichtbar agiert. Vielleicht mögen sich österreichische Regierungsvertreter die Bühne nicht nehmen lassen für tägliche Pressekonferenzen. Wer weiß. Es wäre verwerflich.
Für eine Gesamtbewertung, die für die weitere Vorgehensweise gegen die Pandemie entscheidend sein sollte, kann es nicht nur darum gehen, zu beachten, wie wenige Menschen aufgrund der einschneidenden Maßnahmen positiv getestet und intensivmedizinisch behandelt worden sind und wie viele gestorben sind.
Auch Junge trifft’s hart
Es geht um viel mehr: Die bisherigen Maßnahmen haben nicht nur geholfen, durch sie ist auch Unermessliches angerichtet worden: Nicht-Covid19-Patienten sind auf der Strecke geblieben; diese Opfer sind nirgends erfasst. Besonders Ältere sind vereinsamt. Hunderttausende sind Arbeitslos und haben zurzeit keine Perspektive auf einen neuen Job. Alleinerzieherinnen wachsen die Probleme über den Kopf. Unzähligen Unternehmen droht die Pleite: Selbst in China herrscht nur eingeschränkte Normalität, es gibt beispielsweise viel weniger Restaurantbesuche als früher. Für Junge besteht in Österreich lediglich Fernunterricht. Was bildungsmäßig vielleicht verkraftbar ist. Schlimmer ist dies: Selbst wenn die Wirtschaft heuer „nur“ um fünf Prozent einbricht, verschlechtern sich die Berufs-, geschweige denn Karriereaussichten dramatisch.
Die Liste sogenannter Kollateralschäden ist unendlich lang. Mit heutigem Wissen sind sie zunächst nicht verhinderbar gewesen. Es ist aber an der Zeit, sie zu berücksichtigen. Sonst sind sie am Ende viel größer als die Gesundheitsschäden. Wie die Wasserschäden, die bisweilen nach der erfolgreichen Bekämpfung eines kleinen Brandes bleiben – und die nicht mehr behoben werden können.
„Die Kollateralschäden sollten am Ende nicht viel größer sein als die Gesundheitsschäden.“
Johannes Huber
johannes.huber@vn.at
Johannes Huber betreibt die Seite dieSubstanz.at – Analysen und Hintergründe zur Politik.
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