Heuchelei und Häme
Es war ein PR-Desaster ersten Ranges, kein Zweifel. Wenn einer monatelang predigt, man möge Abstand halten und Masken tragen, und dann macht Sebastian Kurz bei einem wahlkampf-ähnlichen Aufritt im Kleinwalsertal nichts davon, dann beschädigt es seine Glaubwürdigkeit. Man fragt sich nur, wie seiner sonst so perfekten Marketing-Mannschaft so ein Lapsus passieren konnte. Da genügt der Hinweis auf die Begeisterung der Ortsbevölkerung nicht, durch den eher potscherten Aufruf der Gemeinde für Beflaggung der Häuser und Bekundungen entlang der Walserstrasse noch beflügelt. Auch wenn der Kanzler zaghaft das Abstandhalten einmahnte: Man sah es ihm an, wie sehr er das Bad in der Menge genossen hat. Fehler einzugestehen gehört auch nicht zu seinem Sprachgebrauch. Waren halt die Walser schuld.
Es war ein aufgelegter Elfer für die Opposition, kein Zweifel. Wenn jemand seit Beginn der Corona-Krise alles mittragen muss, was die Regierung vernünftigerweise anordnet, um Menschenleben zu retten, dann ergreift man die erstbeste Gelegenheit, dem Kanzler eins auszuwischen. Als ob man nur darauf gewartet hätte, es dem in den Umfragen davoneilenden Sunnyboy einmal so richtig zu zeigen. Das ist in einer Demokratie völlig legitim. Aber da war viel Heuchelei dabei.
„Es war ein aufgelegter Elfer für die Opposition, kein Zweifel.“
Wir haben, auch ökonomisch und sozial, vielleicht harte Zeiten vor uns. Da werden der Regierung auch Fehleinschätzungen passieren. Der Kleinwalsertaler Auftritt wird dann vermutlich nur mehr eine Episode sein, weil wir Wichtigeres zu diskutieren haben, leider. Wenn man als Opposition bei einer vergleichsweise doch eher weniger bedeutenden Angelegenheit gleich mit Strafanzeigen reagiert, dann frage ich mich, was dann kommt. Ernsthafter politischer Diskurs sieht anders aus.
Die Medien?
Auch die Häme mancher Medien ist zu hinterfragen. Haben sich die mitreisenden Kameraleute und Fotografen beim Kampf ums beste Bild an die Abstandsregeln gehalten? Die Journalisten beim Kampf um die beste Story? Sie waren abstandslos wie der Kanzler und der Landeshauptmann. Wirft kein besonders gutes Licht auf die Branche. Das möglicherweise Fatale am Kurz-Auftritt ist aber, dass ohnehin die Akzeptanz der sehr erfolgreichen Verordnungen sinkt. Zahlen aus Deutschland belegen, dass mehr Leute als bisher die Einschränkungen in Frage stellen. Vor allem im Internet wird zudem Stimmung gegen die Pandemie-Maßnahmen geschürt. Verschwörungsideologen nutzen die Unsicherheit der Bevölkerung. Auch bei uns sind solche Tendenzen schon sichtbar. Diesen Leuten kommt der Lapsus des Kanzlers gerade recht, um zu sagen: Schaut her, ist doch alles nicht so wichtig, was die uns verordnen.
Mir persönlich war in der letzten Woche etwas anderes wichtig. Dass bei der Verordnung, die die ersten Lockerungen regelt, fast alles aufgezählt wurde: Schulen, Geschäfte, Lokale, Hotels, der Sport. Nur die Kultur nicht, deren Veranstalter viel länger im Unklaren gelassen wurden, was sie dürfen und was nicht. Wenn die Formel 1 wichtiger ist als die Kultur, dann ist was faul im Kulturstaat Österreich.
Wolfgang Burtscher, Journalist und ehemaliger ORF-Landesdirektor, lebt in Feldkirch.
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