Ein überhebliches zwei zu eins
Besonders unappetitliche Details packt man nicht in Verträge. Verträge scheinen an diversen Orten auf, in Urkundenregistern – oder sie sind schlichtweg öffentlich, wie bei Koalitionsverhandlungen in der Politik. So ist das auch zwischen Türkis und Grün, so war das auch zwischen Türkis und Blau. Das Koalitionsprogramm ist die Basis der Zusammenarbeit, der Vertrag. Absprachen zu Postenbesetzungen beispielsweise findet man dort nie, die stehen im Sideletter.
„Das System habe ich ja nicht erfunden“, sagte Bundeskanzler Sebastian Kurz vor dem Ibiza-Untersuchungsausschuss, auf Postenvergaben angesprochen.
Insgesamt absolvierte der Bundeskanzler den Untersuchungsausschuss mit einer Überheblichkeit, die sich Kurz nur leistet, wenn er gereizt ist und keine Fernsehkameras dabei sind. Der heutige Finanzminister Gernot Blümel übertraf seinen Chef am Folgetag. Blümel wählte die nicht weniger überhebliche Strategie, sich als wandelnde Erinnerungslücke zu präsentieren. 86 Mal zog er die „Keine Erinnerung“-Karte während seiner Aussage, bei Kurz waren es „nur“ 29 Erinnerungslücken.
Blümel erinnerte sich nicht genau daran, ob er vor zwei Jahren als Kanzleramtsminister überhaupt einen Laptop hatte: „Ich glaube ich hatte gar keinen“. Die zahlreichen Bilder von Blümel mit Laptop aus dieser Zeit lassen das Gefühl aufkommen, dass die Türkisen den Ausschuss nicht nur nicht wirklich unterstützen wollen, sondern überhaupt nicht ernst nehmen. Auch das Festhalten von Wolfgang Sobotka am Ausschussvorsitz bekräftigt dies, leider.
Die Vertreter des durch Ibiza geschassten Regierungspartners FPÖ sahen den U-Ausschuss jedenfalls für eine willkommene Gelegenheit zur Retourkutsche. Norbert Hofer half den Erinnerungslücken der ÖVP nach, war auskunftsfreudig und bestätigte genüsslich Absprachen zu Postenvergabepraktiken – ein blauer Liebesgruß aus der Vergangenheit. Für Aufsichtsratsposten sei der Schlüssel „2 ÖVP zu 1 FPÖ“ vereinbart worden, plaudert der Ex-Minister aus dem Sideletter. Natürlich sei er gegen Proporz, aber Sebastian Kurz und Vize Heinz-Christian Strache hätten das nun einmal vereinbart.
Übrigens, einen Laptop habe er – wie dies schon ÖVP-Regierungskoordinator Blümel angegeben hatte – nicht gehabt, so Hofer. (Auch von ihm gibt es genügend Laptop-Fotos aus seinem alten Ministerbüro.)
Der Ausschuss ist also ein Vehikel, das zuletzt Neos-Abgeordnete Stephanie Krisper nutzte, um eine schwungvolle Duftmarke zu hinterlassen. Ihre inhaltliche Arbeit wurde überlagert vom derben „Oasch“-Sager, mit dem sie – wie Parlamentsstenografen bestätigen – nicht die zwischenzeitlich zurückgetretene Verfahrensrichterin Ilse Huber verunglimpfte, sondern eh alle: „Geh’n mir am Oasch, alle.“
Der Untersuchungsausschuss betreffend mutmaßliche Käuflichkeit der türkis-blauen Bundesregierung wirkt auch ein Monat nach Start noch recht unaufgeräumt, klare Strategie von SPÖ-Vertreter Jan Krainer, Neos-Krisper oder auch der Grünen Fraktionsführerin Nina Tomaselli war noch nicht zu erkennen. Das kann ja noch kommen: Die türkise Mannschaft mauert jedenfalls dermaßen durchsichtig, dass über das Einfallstor der zerstrittenen und implodierten FPÖ noch einiges möglich scheint.
Gerold Riedmann
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Gerold Riedmann ist Chefredakteur der Vorarlberger Nachrichten.
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