“Solche Bilder hat man zuletzt in der DDR gesehen”

Wallner hofft, dass die Grenzen nie wieder geschlossen werden. Und er möchte alle zehn Jahre ein Wasserkraftwerk im Land bauen lassen.
Lauterach Drei Wasserkraftwerke in 30 Jahren, ein Schuldenberg nach Corona, die Dornbirner Messe trotz Corona und Erfahrungen der Grenzschließungen: Landeshauptmann Markus Wallner spricht im VN-Sommergespräch über die Vergangenheit und die Zukunft.
Ausgerechnet in Ihrer Heimatgemeinde ist ein Coronacluster entdeckt worden. War das in Vorarlberg nur eine Frage der Zeit?
Wir müssen weiter wachsam bleiben. Die kurzfristige Entwicklung zeigt, dass das Virus noch vorhanden ist und wir weiter professionelles Krisenmanagement brauchen. Die Einführung der Maskenpflicht ist da jedenfalls die richtige Entscheidung.
Prekäre Wohnverhältnisse sind ein Muster dieser Pandemie. Wie viele weitere Menschen in Vorarlberg sind in solch desolaten Verhältnissen untergebracht?
Ich hoffe, so wenig wie möglich. Man kann aber nicht ausschließen, dass es solche Wohnheimsituationen öfters gibt. Überall dort, wo es prekäre Wohn- oder Arbeitsverhältnisse gibt, ist die Virusübertragung international gehäuft aufgetreten. Was wir der Wirtschaft anbieten, ist, dass wir sie in die bestehenden Screening-Programme aufnehmen. Die Aufforderung an die Unternehmen ist, die Angebote auch wahrzunehmen. Es gibt auch im Tourismus Mitarbeiter, die höchst unterschiedlich untergebracht sind.
Und grundsätzlich?
Durch die Pandemie wird das Brennglas auf Leasing- und Leiharbeit gelegt. Man sieht deutlicher, wo es Schwierigkeiten gibt.

Auf Bundesebene wird ein Ampelsystem für Coronamaßnahmen diskutiert. Soll ein Automatismus kommen? Zum Beispiel: Bei gelb kommt die Maskenpflicht?
Die Ampel, wie sie uns vorschwebt, hat zwei Wirkungen: Sie warnt die Bevölkerung und sorgt somit für Transparenz. Die zweite Wirkung betrifft Maßnahmen zur Eindämmung. Wechselt die Ampelfarbe, berät ein Gremium die nötigen Maßnahmen. Das hängt von der Art des Infektionsclusters ab. Das Fachgremium sollte regional aufgestellt sein, ich bin gegen einen Automatismus.
Welche Lehren ziehen Sie aus der Coronakrise?
Krisenmanagement ist ein Standortfaktor und wird zur langfristigen Aufgabe. Es ist eigentlich eine Zusatzaufgabe der Gesellschaft geworden.
Was würden Sie nach heutigem Stand anders machen?
Es gibt unterschiedliche wissenschaftliche Hinweise dazu, wie stark Kinder das Virus übertragen. Aus damaliger Sicht war es richtig, die Schulen zu schließen. Heute muss man sich aber gut überlegen, wie man vorgeht. Wir sollten uns um einen möglichst normalen Schulbeginn bemühen.
Und bei einem positiven Coronatest werden wieder Schulen geschlossen?
Wir sollten ähnlich wie in einem Betrieb vorgehen. Auch in der Wirtschaft werden nicht sofort ganze Unternehmen zugesperrt.

Ist die Dornbirner Messe eine gute Idee?
Das ist ein Drahtseilakt. Auf der einen Seite müssen wir alles tun, damit die Wirtschaft hochfährt. Die Dornbirner Messe ist ein Signal. Sie einfach abzusagen, wäre ein Dämpfer, den wir konjunkturell nicht brauchen können. Ich bin der Meinung, dass wir sie unter strengen Schutzvorschriften durchführen sollen. Sie wird nicht mit der Messe vergleichbar sein, wie wir sie kennen.
Wie kann die Messe aussehen?
Es wird der ganze Veranstaltungsbereich nicht stattfinden können. Wir reden von einer Fachmesse im engeren Sinne mit Ausstellern und Beratungsgesprächen. Es gibt noch viele Fragen: Masken ja oder nein? Wie schauen Zutrittskontrollen aus? Das Land stellt 160.000 Euro für ein Zutrittssystem bereit.
Die Opposition kritisiert, dass das Land in der Hochkonjunktur zu wenig auf die Seite gelegt hätte und deshalb nun schon übers Sparen reden müsse. Ist das so?
Jetzt muss einmal ordentlich investiert werden. Das wird auch gemacht. Unser Haushalt ist kerngesund. Aber es werden uns 100 Millionen Euro in der Kasse fehlen, und das ist eine Best-Case-Variante. Wir müssen uns bewusst sein, dass sich Schuldenberge auftun.

Was hat uns die Krise über unser Verhältnis zu Nachbarländern gelehrt?
Tirol war mit Ischgl in einer besonders angespannten Situation. Man hat gemerkt, dass die Anspannung hoch war, was die Beziehung zwischen den Bundesländern herausgefordert hat. Wirklich relevant war aber eher die Beziehung in den Bodenseeraum.
Werden wir bei einer zweiten Welle wieder geschlossene Grenzen sehen?
Ich hoffe, das bleibt uns erspart. Grenzschließungen in einem offenen Raum mitten in Europa schmerzen und bremsen uns mehr ein, als wir dachten. Dass die Schließungen dazu geführt haben, dass sich Menschen zwischen Feldkirch und Liechtenstein am Zaun treffen und Kaffee trinken, ist eigentlich unglaublich. Solche Bilder hat man zuletzt in der DDR gesehen. Wir sollten alles unternehmen, dass das nie wieder passiert.

Haben andere Themen durch die Pandemie an Bedeutung verloren? Der Klimaschutz zum Beispiel?
Nein. Klimaschutz und Energieautonomie bleiben Bestandteil des Regierungsprogramms. Es braucht in der nächsten Phase noch einmal große Anstrengungen in der Wasserkraft. Wir haben die Chance, alle zehn Jahre ein großes Kraftwerk zu bauen: 2030, 2040 und 2050. Die drei Projekte wären Meng, Lochau und Kapf. Bei der Meng ist man schon sehr weit, da könnte im kommenden Jahr das UVP-Verfahren starten. Aber wir brauchen die Unterstützung des Bundes.
Finanzielle Unterstützung?
Derzeit wird das Erneuerbaren-Ausbaugesetz verhandelt. Im Entwurf ist bei der Wasserkraft eine Grenze von 20 Megawatt enthalten. Das hilft uns nicht. Das ist eine direkte Bitte an Umweltministerin Leonore Gewessler, dafür zu sorgen, dass Wasserkraft mitgefördert wird. Ich erwarte mir, dass nicht nur Windkraft und Fotovoltaik im Osten gefördert wird. Ich rede bei uns von einem Ausbauvolumen von 800 Millionen bis zu einer Milliarde Euro. Ohne Förderungen stehen unsere Wasserkraftpläne eher im Zweifel.
Die neuen Züge sind immer noch nicht da. Wird das Land Schadenersatz fordern?
Ja, das ist ärgerlich. Schadenersatz ist nicht möglich, das ist eine Sache von ÖBB und Hersteller Bombardier. Aber die ÖBB haben eine Leistungsverpflichtung. Johannes Rauch hat deshalb den Auftrag, einer Ersatzleistung nachzugehen. Ich erwarte mir, dass sie ab Herbst da ist.
Also Ersatzzüge?
Ja. Es kann nicht sein, dass nichts kommt. Besser wären natürlich die neuen Züge.
Wie würden sie die Regierungszusammenarbeit im Land beschreiben?
Als eine gute Partnerschaft.
Gibt es auch Defizite beim Koalitionspartner?
Ja, die werden schon geäußert, aber die halten wir immer streng vertraulich.

Das Interview führten Gerold Riedmann und Michael Prock
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