Zeit, zurückzutreten
Zeit für die Regierung, zurückzutreten. Nein, nicht in dem Sinne, dass sie abdanken soll. Es geht vielmehr darum, dass sie aufhört, so zu tun, als könne sie das tägliche Corona-Krisenmanagement ganz allein bewältigen. Das ist zum Scheitern verurteilt. Beispiel eins: Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) kann kein zweites Mal sagen, dass bald jeder jemanden kennen werde, der an Corona verstorben ist. Nachdem es zum Glück nicht dazu gekommen ist, würde das kein Mensch mehr ernst nehmen. Beispiel zwei: Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) ist heillos überfordert, Regelungen für das kommende Schuljahr zu schaffen. Wie soll das funktionieren? Jeder Fall ist anders gelagert, in keinem wird es eine neuerliche Schulschließung ohne massive Proteste geben. Beispiel drei: Ähnlich geht es Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) beim Projekt „Ampel“. Warum?
„Wenn man krank ist, geht man auch nicht zum Landeshauptmann, einem Minister oder zum Bundeskanzler.“
Unmögliche Ampel
Dazu sind etwas längere Ausführungen nötig: Eine Ampel sendet ein unmissverständliches Signal aus. Wenn grün ist, darf man fahren. Bei Rot muss man stehen bleiben. Die Farben wechseln nach einer bestimmten Zeit. Das ist einfach, schafft unangreifbare Fakten, die noch dazu Nutzen stiften und daher von allen respektiert werden. Bei Corona ist das unmöglich: Bei primitiven Ampeln ist die Schaltung hier ausschließlich von der sogenannten Inzidenz abhängig. Das ist die Zahl bestätigter Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen.
Heute weiß man, dass das nur ein bedingt aussagekräftiger Faktor ist und daher viel mehr zu beachten ist: Anders als im Frühjahr werden auch sehr viele Menschen positiv getestet, die gar nicht merken, dass sie infiziert sind. Im Übrigen handelt es sich immer öfter um Junge, denen das Virus weniger anhaben kann. Die Medizin hat sich wiederum weiterentwickelt. All das macht Covid19 noch lange nicht harmlos, relativiert jedoch einiges. Zumal Franz Allerberger von der staatlichen Gesundheitsagentur AGES meint, dass es in ganz Österreich überhaupt schon 300.000 Infektionen gegeben haben könnte. Das wären zwölfmal mehr als bisher bestätigt worden sind.
Vortritt für Experten
Jede noch so bemühte Ampelschaltung wird unter diesen Umständen angreifbar. Vor allem, wenn darauf wieder die Stilllegung von Betrieben, Arbeitslosigkeit und Homeschooling folgen. Und erst recht, wenn die Alarmstufe „Rot“ von einem Politiker verkündet werden sollte. Das wäre kontraproduktiv. Wenn man krank ist, geht man auch nicht zum Landeshauptmann, einem Minister oder zum Bundeskanzler, um sich sagen zu lassen, was zu tun ist.
Natürlich, der Vergleich hinkt. Eine Pandemie ist komplexer. Umso besser aber wären Kurz und Co. beraten, beim Krisenmanagement zwei, drei Schritte zurückzutreten und die Bühne viel mehr Leuten zu überlassen, die erstens kundiger sind und daher zweitens überzeugender wirken könnten.
Johannes Huber betreibt die Seite dieSubstanz.at – Analysen und Hintergründe zur Politik.
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