Flüchtlingskrise 2015: Als es zu helfen galt

Vorarlberg meisterte die Unterbringung von mehreren Tausend Flüchtlingen.
Schwarzach Wann begann jenes Ereignis, das als Flüchtlingskrise, Fluchtbewegung, Flüchtlingswelle in die Geschichte einging? Mit dem Beginn des Bürgerkriegs in Syrien 2011? Anfang September 2015, als sich am Bahnhof Budapest Tausende Menschen auf den Weg machen durften, nachdem sie tagelang ausharren mussten? Waren es die Tage danach, als Zehntausende den Grenzübergang Nickelsdorf passierten? Es gibt keinen genauen Beginn. Aber klar ist: Europa, Österreich und Vorarlberg haben sich seitdem verändert.

Die Flüchtlingspolitik in Vorarlberg ist vor allem mit einem Namen verknüpft: Erich Schwärzler. Der Landesrat gilt als Hauptverantwortlicher für den Vorarlberger Weg, auf große Quartiere so gut es geht zu verzichten und stattdessen in jeder Gemeinde Asylwerber unterzubringen. Er blickt zurück: „Ich kann mich erinnern, dass medial berichtet wurde, dass Menschen unterwegs sind und man eine Bewegung sieht. Niemand hat gewusst, wie viele es sind. Es war eine spannende und ungewisse Situation, ein Stück weit beängstigend. Meine Aufgabe war es, für unser Land Antworten zu finden, und auch für unsere Flüchtlinge.“ Zwar habe es einen österreichweiten Verteilungsschlüssel unter den Bundesländern gegeben, aber niemand wusste wirklich, wie viele Menschen sich tatsächlich auf den Weg gemacht hatten. „Wer die Bilder gesehen und gelesen hat, dass Millionen unterwegs sind, wusste: Da kommt etwas Größeres auf uns zu“, fährt Schwärzler fort.

Rasch sei ein Krisenstab eingesetzt worden. „Mich hat nicht interessiert, was nicht geht. Mir war wichtig, was geht“, erinnert sich der Landesrat. Da galt es, auch einmal ein juristisches Auge zuzudrücken. „Eine große Frage war jene der Quartiersbeschaffung. Wenn wir da immer genau nach dem Gesetz vorgegangen wären, hätte es kein Quartier gegeben. Und an normale Arbeitszeiten war speziell zu dieser Zeit auch nicht zu denken.“ Innerhalb von 48 Stunden habe der Landtag reagiert und ein Gesetz beschlossen, das die Quartiersbeschaffung ermöglicht hat.

Eine, die ebenfalls von Beginn an dabei war, ist Petra Gebhard. Sie arbeitet beim Roten Kreuz und war eigentlich Sanitäterin, bis zum Dezember 2014. „Die Caritas hat uns gefragt, ob die Rot-Kreuz-Abteilung ein Übergangsquartier für 15 Flüchtlinge schaffen kann. Das haben wir gemacht.“ Nach ein paar Wochen war dieser erste kleine Einsatz in der Flüchtlingshilfe für das Rote Kreuz schon wieder beendet. Fünf Monate später klopfte das Land an. „Ende Mai wurden wir gefragt, ob wir innerhalb kurzer Zeit ein Quartier für 100 bis 150 Personen aufbauen können.“ So entstand in kürzester Zeit ein großes Heim in der Messehalle in Dornbirn.

Es war oft eine Zeit der spontanen Lösungen, weiß Schwärzler: „Von Beginn an gab es Situationen, in denen wir hörten, dass aus Traiskirchen Flüchtlinge unterwegs sind und wir nicht wussten, wo wir sie am Abend unterbringen können.“ Darum sei die Messe Dornbirn wichtig gewesen. „Dort konnten sie übernachten und wir hatten etwas Zeit, einen fixen Quartiersplatz zu suchen.“

Die Reise nach Dornbirn war auch für das Rote Kreuz eine Reise ins Ungewisse. „Wir wussten nicht, wer kommt, welche Menschen kommen, welche Bedürfnisse haben sie, welche Religion?“, berichtet Petra Gebhard. „Wir waren relativ viele Frauen. Das sorgte auch bei uns für Ungewissheit, weil wir wussten, das manche Kulturen mit Frauen Probleme haben.“ Flüchtlinge selbst waren eine große Hilfe. „Die 15 Asylwerber, die wir im Jänner betreut haben, haben gedolmetscht, Tipps bei Nahrungsmitteln gegeben, haben manche Leute einschätzen geholfen. Sie waren uns in der Messe Tag und Nacht eine Hilfe.“

Auch andernorts entstanden größere Quartiere. Bernd Klisch leitet seit August 2015 die Caritas Flüchtlingshilfe. „Ich kann mich erinnern, als ich kurz darauf in einer großen leeren Halle in Thüringen gestanden bin und wusste, dass wir in zwei bis drei Wochen hier Flüchtlinge unterbringen sollten. Wir konnten es uns nicht vorstellen, wie das in einer Halle gelingen kann, die nicht dafür gebaut und nicht darauf vorbereitet wurde. Aber wir haben es mit der Unterstützung von ganz ganz vielen Menschen geschafft.“ In den letzten drei Wochen vor Weihnachten 2015 schuf die Caritas Quartiere für 400 Menschen.

„Wir wollten keine Heime mit 500 oder 1000 Menschen“, erzählt Erich Schwärzler. Er setzte die Gemeinden unter Druck. „Ich wollte, dass zu Weihnachten in allen Gemeinden Flüchtlinge untergebracht sind.“ Das sei mit wenigen Ausnahmen gelungen. „Ich war richtig stolz auf unser Land, auf die breite Unterstützung in einer menschlich schwierigen Situation.“ In Gemeinden mit größeren Quartieren habe man auf Informationsveranstaltungen und Ansprechpartner gesetzt.
Wo viele Menschen in einer Ausnahmesituation aufeinandertreffen, sind Probleme programmiert, wie Schwärzler erzählt. „Natürlich kommt es unter unterschiedlichen Nationalitäten zu Konflikten. Dann bin ich halt um zwei Uhr in der Nacht aufgestanden, bin durchs Land gefahren und habe mir das angesehen.“ Es sei wichtig gewesen, den Ängsten der Bevölkerung offen zu begegnen und sie ernst nehmen. Oft habe er große Dankbarkeit gespürt. „Gerade als Familienvater ist es schön zu hören, dass sich Menschen bedankten, dass ihre Kinder nun in Sicherheit sind.“

Klisch erinnert sich: „Es war erschütternd, zu sehen, wie erschöpft und müde viele Flüchtlinge bei ihrer Ankunft waren. Gleichzeitig hat man ihnen angemerkt, dass sie wahnsinnig froh sind, endlich zur Ruhe zu kommen und in Sicherheit zu sein.“
Für Schwärzler steht fest: „Das war eine prägende Zeit, die ich in meiner Tätigkeit nicht missen möchte. Es ging immer um den Menschen. Klar gab es Stimmen, die forderten, die Grenzen dichtzumachen. Aber uns war wichtig: Was kann ein Land im humanitären Bereich umsetzen? Das Miteinander im Land war groß.“ Auch in der Politik: „Alle Klubobleute kamen zusammen. Klar gab es unterschiedliche Zugänge, aber es wurde über die Parteigrenzen hinweg zusammengearbeitet. Das war einmalig in Österreich.“
Klisch stellt fest: „Die enorme Hilfsbereitschaft von unglaublich vielen Vorarlbergern ist mir am stärksten in Erinnerung. Viele haben bei uns angefragt, wie sie helfen können. Ohne diese Hilfsbereitschaft wäre die Situation nicht zu bewältigen gewesen.“

Für Petra Gebhard ging es bereits im Juli zurück nach Hard, als das Privatunternehmen ORS die Betreuung der Flüchtlinge in der Messehalle übernahm. Der Alltag währte nur kurz, wie Gebhard schildert. „Mitte August kam ein Anruf des damaligen Bürgermeisters Harald Köhlmeier. Er fragte, ob wir ein neues Quartier errichten möchten. Seine Vizebürgermeisterin Evi Mair hat es dann ermöglicht, dass innerhalb von 24 Stunden ein Flüchtlingsheim in der Turnhalle errichtet wurde. Dann hat Köhlmeier entschieden, dass der Löwen als Flüchtlingsquartier adaptiert werden soll. Seitdem bin ich hauptberuflich angestellt und betreue Flüchtlinge im Löwen.“ Das Heim existiert bis heute.
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