Der große Irrtum
Die Ruhe von Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne), festzustellen, dass man in zwei Wochen sehen werde, ob die Pandemie durch die jüngsten Beschränkungen eingedämmt werden kann, ist bemerkenswert, um es höflich zu formulieren: Die Maßnahmen werden kaum ausreichen. Das zeigt ein Blick auf die Nachbarländer: Praktisch überall gibt es ein exponentielles Wachstum, wird die Kurve, die die Entwicklung der Neuinfektionen darstellt, steiler und steiler, sobald 50 Fälle pro 100.000 Einwohner und Woche zusammengekommen sind. Das ist offenbar ein wirklich kritischer Wert, der den Punkt markiert, ab dem es schwer bis unmöglich wird, einzugreifen. Slowenien hat es aufgegeben, Kontakte nachzuverfolgen. Tschechien und die Slowakei stecken schon länger im Notstand.
„Ein zweiter Lockdown wäre katastrophal. Im Übrigen müssten vielleicht ein dritter und vierter folgen.“
Selbst das leidgeprüfte Italien ist dabei, die Kontrolle zu verlieren. Das heißt etwas. Nämlich Folgendes: Die Menschen können noch so diszipliniert sein, sich bemühen, Abstand zu halten, die Hände zu waschen und eine Maske zu tragen – es bringt letzten Endes zu wenig. Ist das Virus einmal los, lässt es sich nicht mehr einfangen.
Keine „Wiederauferstehung“
Das führt zu einer Erkenntnis, die bitter ist: Es war ein Irrtum von Österreich und vielen anderen Ländern, zu glauben, nach dem alternativlosen Lockdown im März werde man die Zeit bis zur Entdeckung eines Impfstoffs schon irgendwie überbrücken können. Ja, es ist noch viel schlimmer: Auch die Kurzarbeit und diverse Rettungspakete gingen von der Annahme aus, dass bald wieder alles wie gewohnt sein werde. Das war gut gemeint, aber falsch: Es gab keine „Wiederauferstehung“ nach Ostern 2020, wie Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) zunächst hoffte und es wird unter Umständen auch keinen normalen Sommer 2021 geben, wie er im August erklärte. Voraussetzung dafür wäre ein Impfstoff. Es wäre schön, wenn sich ein solcher durchsetzen würde, es ist jedoch „weltfremd“, fix davon auszugehen, dass es dazu kommen wird, so der Virologe Franz Allerberger.
Doch schauen wir nach vorne: Ein zweiter Lockdown wäre katastrophal, wirtschaftliche und soziale Verwerfungen würden vervielfacht werden. Im Übrigen würde irgendwann ein dritter und bald darauf vielleicht auch ein vierter Lockdown nötig werden.
Keine Feiern, keine Reisen
In der Schweiz wird gerade eine Alternative namens „Slowdown“ diskutiert. Demnach sollte das gesellschaftliche Leben nicht wieder gestoppt, so schnell wie möglich aber vorübergehend noch stärker zurückgefahren werden als es ohnehin schon passiert ist: Keine feucht-fröhlichen Fußballabende, keine Familienfeiern, keine Reisen, die nicht zwingend erforderlich sind, etc. Darüber sollte man auch bei uns reden. Auch wenn die Zeit knapp wird – früher oder später wird es jedenfalls unausweichlich sein, zu wissen, wie man auch ohne Lockdown bestmöglich über die Runden kommen könnte.
Johannes Huber betreibt die Seite dieSubstanz.at – Analysen und Hintergründe zur Politik.
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