Verfassungsgericht bremst direkte Demokratie aus

Vorarlberg / 24.10.2020 • 05:55 Uhr / 4 Minuten Lesezeit
Die Verfassungsrichter haben entschieden: Volksabstimmungen gegen den Willen der Gemeindevertretung sind nicht mehr möglich. <span class="copyright">APA</span>
Die Verfassungsrichter haben entschieden: Volksabstimmungen gegen den Willen der Gemeindevertretung sind nicht mehr möglich. APA

Volksabstimmungen sind nicht mehr gegen den Willen der Gemeindevertretung möglich.

Schwarzach, Wien Seit Jahrzehnten können Vorarlbergs Gemeindebürger per Volksabstimmung mitbestimmen. Um ein Thema vorzugeben, müssen lediglich Unterschriften gesammelt werden. So war es zumindest bisher. Nachdem die Volksabstimmung in Ludesch angefochten wurde, prüfte der Verfassungsgerichtshof das Gemeindegesetz und die Landesverfassung. Am Freitag veröffentlichte das Höchstgericht sein Erkenntnis: Zukünftig darf keine Abstimmung gegen den Willen der Gemeindevertretung abgehalten werden.

Enttäuschter Experte

Laut Bundesverfassung ist Österreich eine repräsentative Demokratie. Für den Verfassungsgerichtshof bedeutet das: Gegen die gewählten Volksvertreter darf nichts entschieden werden. Eine Volksabstimmung ist nur dann verbindlich, wenn sie die Gemeindevertretung einleitet oder zumindest im Vorfeld für verbindlich erklärt. Der Gerichtshof hat deshalb den Abschnitt im Gemeindegesetz, der die Zahl der Unterschriften für eine Volksabstimmung regelt, für verfassungswidrig erklärt. Das Erkenntnis kommt wenig überraschend. “Enttäuschend ist es trotzdem”, kommentiert Verfassungsexperte Peter Bußjäger die Entscheidung. Er teilt die Rechtsmeinung nicht (die VN berichteten). “Nun gibt es keine direkte Demokratie mehr gegen die Gemeindevertretung.”

Für Politikwissenschaftlerin Kathrin Stainer-Hämmerle steht fest: Das Erkenntnis spiegelt die österreichische Auffassung wider.” Das Volk könne sich nicht über das Parlament hinwegsetzen. “Das ist aus einem früheren Misstrauen gegenüber dem Volk entstanden”, erklärt sie. Historisch gesehen ist es nicht zuletzt Adolf Hitler gelungen, das Parlament auszuhebeln. “Deshalb sehen viele Menschen die Möglichkeit kritisch, über das Parlament zu entscheiden.” Um Druck auf Parteien auszuüben, seien nicht immer Abstimmungen notwendig.

Der Gemeindeverband ist froh über die Entscheidung. “Das ist eine Klarstellung. Der Verfassungsgerichtshof hat das gut begründet. Man kann die repräsentative Demokratie nicht stürzen, indem Entscheidungen ausgehebelt werden, die eine Gemeindevertretung treffen müsste”, ist dessen Präsidentin, die Dornbirner Bürgermeisterin Andrea Kaufmann, überzeugt. Der Anwalt der Anfechter, Sanjay Doshi, spricht von einer Erfolgsstory. “Die Höchstrichter teilen damit meine Bedenken zu einhundert Prozent”, freut er sich. Immerhin seien seinen 15 Mandanten Umwidmungen versprochen worden.

Das Erkenntnis gilt nicht sofort. Der Passus wird erst ab 2022 aufgehoben. Die Landesregierung hat Zeit, eine Novelle zu erstellen, erläutert Landesjurist Matthias Germann. “Viel Gestaltungsmöglichkeit gibt es aber nicht mehr, weil wir nicht die Möglichkeit haben, vom Volk ausgehende Abstimmungen vorzusehen”, fährt er fort. Landestatthalterin Barbara Schöbi-Fink betont, dass sie sich ein anderes Ergebnis gewünscht hätte. Sie spricht von einer Schwächung der direkten Demokratie. “So wird Volksabstimmungen ein wesentliches Moment genommen.”

Jetzt noch sammeln?

Wer eine Volksabstimmung initiieren möchte, hat also theoretisch noch Zeit. Germann bremst zwar: “Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Volksabstimmung für zulässig erklärt wird, nachdem die Vorschrift für verfassungswidrig erklärt worden ist.” Nachsatz: “Aber an sich besteht die Rechtslage noch bis Ende 2021.” Volksbegehren, Volksbefragungen und Volksabstimmungen, die von der Gemeindevertretung angeordnet werden, bleiben weiterhin möglich.

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