Der Schmerz einer verwaisten Mutter

Irmgard (70) verlor vor zwei Jahren ihren 43-jährigen Sohn. Sein plötzlicher Tod zog ihr den Boden unter den Füßen weg.
Götzis Seit dem 10. Oktober 2018 weint Irmgard jeden Tag ein paar Mal. Damals starb ihr Sohn Markus 43-jährig nach kurzer, schwerer Krankheit an multiplem Organversagen. Sein plötzlicher Tod riss der Mutter den Boden unter den Füßen weg. Denn: „Markus und ich waren eins.“ Irmgard (70) gesteht, dass sie seit seinem Tod schon kübelweise Tränen vergossen hat. „Ich sage mir dann: ,Irmgard, hör‘ auf zu weinen. Markus will das nicht.‘ Aber er fehlt mir halt.“ Nach seinem Tod träumte sie von ihm. „Er griff zu seiner Reisetasche und sagte zu mir: ,Mama, du solltest nicht immer weinen. Mir geht es gut. Aber ich muss gleich wieder gehen.‘“
Stolz auf ihren tüchtigen Sohn
Irmgard hält sich oft in der Küche auf. Deshalb hat sie dort ein Foto von ihrem verstorbenen Sohn platziert. Es zeigt einen sympathischen, gutaussehenden und spitzbübisch lächelnden Mann. „Ich rede oft mit ihm und beziehe ihn in den Alltag ein“, sagt die verwaiste Mutter und blickt auf das Foto. Markus ist tot, aber in ihren Erinnerungen lebt er. „Markus war ein sehr anhängliches Kind. Er wollte nie außer Haus schlafen. Seine Freunde kamen immer zu uns.“ Einmal überraschte er sie mit seinem Mut. „In der Kindermette sagte der Pfarrer, dass er es schön finden würde, wenn ein Kind jetzt ein Schaf in die Krippe legen würde. Markus, damals drei Jahre alt, sprang von der Bank auf, ging zur Krippe vor und tat, was der Pfarrer verlangt hatte.“ In diesem Augenblick war Irmgard mächtig stolz auf ihn. Auch später gab es für die Mutter viele Gründe, um auf ihren Sohn stolz sein zu können. Markus war immer ein guter Schüler, absolvierte mit Bravour die Lehre zum Elektriker und war in seinem Beruf einer der Besten. Mehr als all das beeindruckte seine Mutter aber sein Wesen. „Markus war einfühlsam und hilfsbereit. Man mochte ihn. Er war sehr beliebt.“ Das zeigten ihr auch die vielen Beileidsbekundungen, die sie nach seinem Tod per Post oder per E-Mail bekam.
Der Mutter ist jetzt die Wehmut ins Gesicht geschrieben. „Immer wenn Markus von meinem Mann und mir fortfuhr, hat er uns noch lange zugewunken. Wie schön wäre es, wenn er noch einmal winken würde.“ Irmgard zwickt sich in den Arm. „Ich darf nicht ständig in Trauer verfallen.“
„Der Herrgott schickt uns Prüfungen, um uns stark zu machen.“
Irmgard, verwaiste Mutter
Sie zieht sich eine Jacke über und geht in ihren Garten, der im Sommer ein einziges Blütenmeer ist. „Ich danke dem Herrgott für jedes Blümchen, das er blühen lässt.“ Obwohl der Allmächtige ihr den Sohn weggenommen hat, hadert sie nicht mit ihm. Was hätte es auch für einen Sinn, gegen einen aufzubegehren, in dessen Hand man vollständig ist? „Der Herrgott schickt uns Prüfungen, um uns stark zu machen. Entweder du nimmst es an oder du gehst zugrunde.“ Irmgard hat sich dafür entschieden, ihr Schicksal anzunehmen. Ihr Los erscheint ihr inzwischen nicht mehr so schwer. „Die Zeit heilt tatsächlich Wunden. Ich lebe wieder gern. Ich habe meinen Mann Toni, meine Tochter Sonja, meinen Schwiegersohn, meine Freunde und meinen Garten. Das Leben ist lebenswert, nur der Markus fehlt.“
Der erlittene Verlust hat ihr Herz äußerst empfindsam werden lassen. Wenn die 70-Jährige morgens die Zeitung aufschlägt und sieht, dass wieder ein junger Mensch gestorben ist, muss sie vor lauter Mitgefühl losheulen. Denn Irmgard kennt den Schmerz einer verwaisten Mutter.