„Irgendwas ist doch immer“

Zwei Profis der Krisenbewältigung zeigen Wege des Vertrauens auf.
Bregenz Arbeit ist ein kostbares Gut. Neuerdings ist sie rar. Auch ungleich verteilt. Manche Berufe freilich boomen, krisenbedingt. Weder Sepp Gröfler (Telefonseelsorge) noch der Psychologe und Sozialarbeiter Bernhard Gut können seit Beginn der Coronapandemie über Unterbeschäftigung klagen. In den Ökumenischen Gesprächen 2020, die heuer digital über die Bühne gehen, lassen sie ihre Erfahrungen Revue passieren. Und bleiben dabei erstaunlich gelassen.
„Denn seien wir doch ehrlich“, sagt Sepp Gröfler, „irgendwas ist doch immer.“ Augenzwinkernd zählt er auf: „Gerade eben hatte ich mich noch gemütlich in einer Gebärmutter eingerichtet, schon musste ich das Licht der Welt erblicken, kaum hatte ich mich an die paar Menschen um mich herum gewöhnt, saß ich auch schon in einem Haufen mit lauter ähnlichen Gestalten im Kreis.“ Dann der Stress mit Schreiben, Lesen, Rechnen lernen. Der Tanz der Hormone, sich verlieben, verlassen werden, wieder verlieben… Kinder gezeugt, Enkel im Arm gehalten, „unser Hausanteil versank im ausgetrockneten Sumpfboden Dornbirns, Wohnungsverlust, Gefährdung der finanziellen Sicherheit, Covid-19, demnächst steht die Pensionierung an…“
Die starken Männer
Eigentlich lebt der Mensch immer in Zeiten des Umbruchs. Er muss lernen, sich auf den schwankenden Boden einzulassen. Gewiss, die eigene Tragfähigkeit hat Grenzen. Dann helfen andere, wie die Telefonseelsorge zum Beispiel. Wenn die Sehnsucht nach Sicherheit im Ruf nach „starken Männern“ laut wird, heißt es gut aufpassen. „Das kann gefährlich werden.“ Eigenartigerweise wird nie nach starken Frauen gerufen, „obwohl mir meist starke Frauen Sicherheit gegeben haben“, erzählt Gröfler. Sie haben ihn auch gelehrt, offen zu sein für die Nöte anderer. „Sich selber fallen lassen und die Arme ausbreiten, wenn ein anderer fällt.“
Dafür braucht es vor allem Vertrauen. Aber können wir das überhaupt noch, vertrauen? Bernhard Gut lässt den Vorarlberger Psychotherapeuten Alfried Längle zu Wort kommen mit dem Satz: „Es kommt immer auf mich an – und es hängt nie von mir ab.“ Wir können uns nicht aus dem Spiel nehmen, zurücklehnen und denken, geht mich nichts an. „Denn wir sind die Akteure unseres Lebens.“ Auch und gerade in schwierigen Zeiten. Dieser Gedanke stärkt unsere Empfindung als Individuum. Jede und jeder ist einzigartig, oder religiös formuliert: „Von Gott her gedacht.“ Aber eben nicht für alles zuständig und verantwortlich. Das hielten wir auch gar nicht aus.
Schon die oft gehörte, alltägliche Formulierung „Es hängt von Dir ab“, trägt den Kern der Überforderung in sich. Die Erwartung, die das Ergebnis schon vorwegnimmt. Die in Enttäuschung umschlägt, wenn wir nicht entsprochen haben. Der oft überzogenen Erwartung hält Bernhard Gut das Vertrauen entgegen. Es ist anders als die Erwartung. Milder, nicht fordernd. Vertrauen setzt nichts voraus, aber es traut uns viel zu: „Es wird gut ausgehen – auch wenn ich nicht weiß, wie, wann, in welcher Form, durch wen.“ So ein Vertrauen trägt in schweren Zeiten. Deshalb gibt Bernhard Gut die entscheidende Frage einem jeden mit auf den Weg: „Kann ich einem anderen Menschen – oder Gott – tatsächlich trauen, dass er oder sie im Letzten das Beste für mich will?“ TM
Ökumenische Gespräche
Was uns trägt in Zeiten des Umbruchs
Alle Inputs gibt es digital unter evang-bregenz.at
Dienstag, 17. November 2019 Persönliche existenzielle Krisen und Wege zu deren Bewältigung, Univ. Prof. Dr. Reinhard Haller (Psychiater)
Veranstalter Katholische Kirche in Bregenz und Evangelische Pfarrgemeinde Bregenz in Kooperation mit dem Ökumenischen Bildungswerk Bregenz und den VN
Die Telefonseelsorge Vorarlberg ist rund um die Uhr unter 142 erreichbar.