Antigentests mit viel Benefit

Auch Ordinationen mussten wieder geschlossen werden.
Dornbirn Die Einschätzung von Ärztekammerpräsident Michael Jonas zur Coronakrise fällt deutlich aus: „Sie ist dramatisch.“ Ob die zweite Welle überhaupt zu stoppen ist, auch daran hat er seine Zweifel. „Die Menschen werden müde, weil sie schon so lange in der Pandemie aushalten müssen“, sagt Jonas.
Wie bewerten Sie die Entwicklung bei den Coronazahlen?
Jonas Die Entwicklung in Vorarlberg ist dramatisch, wobei ich glaube, dass die anderen Bundesländer bald ähnliche Zahlen wie wir erreichen werden. Da wir sehr früh mit den Antigentests begonnen haben, konnten wir eine wesentlich höhere Anzahl der Dunkelziffer herausholen und wussten schnell, dass das Infektionsgeschehen wesentlich stärker verbreitet ist als vorher angenommen. Die anderen Bundesländer profitieren jetzt von uns.
In welcher Form?
Jonas Wir haben fünf Wochen gebraucht, bis wir den Minister überzeugen konnten, dass mit einem positiven Antigentest eine sofortige Absonderung zu erfolgen hat und dass es eigentlich nur eine Zeitverschwendung ist, auf einen positiven PCR-Test zu warten. In der raschen Erkennung von Infizierten liegt ja der Benefit der Schnelltests. Dann sollten sie auch sofort isoliert werden können, inklusive der Kontaktpersonen. Das ist leider erst seit dieser Woche möglich.
Warum sind Sie gegen eine Antigentestung bei asymptomatischen Personen?
Jonas Weil die Empfindlichkeit dieser Tests bei Personen ohne Anzeichen nicht einmal 50 Prozent und die Wahrscheinlichkeit sehr gering ist, dass eine Infektion vor Ausbruch der Symptome entdeckt wird. Das vermittelt eine Scheinsicherheit. Es gibt niederländische Studien, die belegen, dass man nur infektiös ist, solange man Symptome hat. Wir warnen deshalb auch vor der Anwendung medizinisch nicht zugelassener Schnelltests.
Wie stehen Sie zu Antigentests in Apotheken?
Jonas Ich sehe das als extrem bedenklich an. Das Argument der Apotheker, dass die Mediziner ausgelastet sind, stimmt, und es gibt wohl viele flüchtige Kontaktpersonen, die Angst haben, dass sie möglicherweise infiziert sind, aber keinerlei Beschwerden haben. Die Apotheken sehen das als Serviceangebot, sie würden immer gut aufklären, heißt es. Es wird auch massiver Druck von Unternehmen auf die Arbeitsmediziner ausgeübt, dass sie Industriemitarbeiter anlernen, um solche Tests zu machen. Tragisch.
Mussten schon Ordinationen wegen Corona geschlossen werden?
Jonas Ja, ich weiß von einigen Praxen, wo die Ärzte selbst betroffen sind, auch Zahnärzte. Die Ansteckungen, die mir bekannt sind, erfolgten immer im privaten Bereich.
Warum hat das Sicherheitsbewusstsein bei den Menschen so nachgelassen?
Jonas Die Menschen werden müde, weil sie schon so lange in der Pandemie aushalten müssen. Keine Kultur, kein normales soziales Leben in der Freizeit: Das sind Einschränkungen, welche die Coronaleugner und –gegner einfach verdrängt haben. Ich schiebe aber nicht nur ihnen zu, dass die Pandemie wieder so aufgeflammt ist. Die Menschen sind insgesamt unachtsamer geworden nach einem Sommer der relativen Freiheit.
Braucht es wieder einen kompletten Lockdown, um die zweite Welle zu stoppen?
Jonas Ich nehme an, die Regierung wird das am Wochenende bewerten, dann werden wir weitersehen. Wir können noch gar nicht abschätzen, ob wir es überhaupt schaffen, sie abzufangen.
Wird es wieder eine Infektionsordination brauchen?
Jonas Ich halte das für unwahrscheinlich. Wir haben den Schnelltest, die Telefon-Triage, wir haben viel mehr Wissen und Schutz- bzw. Sicherheitsmaßnahmen.
Was halten Sie vom angekündigten Impfstoff?
Jonas Ich bin davon überzeugt, dass die gelieferten Daten solide sind. Womit ich ein Problem habe, ist, wie sie die riesigen Impfmengen in so kurzer Zeit zur Verfügung stellen können. Trotzdem sind wir zuversichtlich, dass noch vor Weihnachten eine kleine Lieferung kommt.
Ist die Coronaimpfung bei Ihren Patienten ein Thema?
Jonas Wir werden täglich danach gefragt. Corona ist ein permanenter Begleiter. VN-MM