Ärger mit der Quarantäne

Wenn ein Gericht ein Gesetz anwenden soll, das es für verfassungswidrig hält, muss es dessen Aufhebung beim Verfassungsgerichtshof (VfGH) beantragen. Dieser entscheidet, ob das Gesetz aufgehoben wird, oder nicht. In den meisten Fällen stellen die unteren gerichtlichen Instanzen solche Anträge. Dort arbeiten zum einen mehr Richter, zum anderen werden Fragen der Verfassungswidrigkeit oft schon früh im Verfahren aufgeworfen. In den vergangenen 20 Jahren hat die höchste Instanz in Zivil- und Strafrechtssachen, der Oberste Gerichtshof (OGH), daher nur 17 Aufhebungen beantragt. Nun wendet sich das eine Höchstgericht (OGH) aber wieder einmal mit einer verfassungsrechtlichen Frage an das andere (VfGH). Sie betrifft ausgerechnet eine zentrale Bestimmung zur Bekämpfung von Covid-19.
Konkret geht es um die Absonderungsbescheide mit denen auch die Vorarlberger Bezirkshauptmannschaften Kranke und Krankheitsverdächtige unter Quarantäne stellen können. Betroffene können, so bestimmt es das Epidemiegesetz, die Aufhebung dieser Freiheitsentziehung beim Bezirksgericht beantragen – und genau da liegt der Haken.
Bezirksgerichte, Landesgerichte, Oberlandesgerichte und der Oberste Gerichtshof – die sogenannte „ordentliche Gerichtsbarkeit“ – dürfen nur in wenigen Ausnahmefällen Entscheidungen von Verwaltungsbehörden aufheben. Dafür gibt es Verwaltungsgerichte. Zu diesen Ausnahmen gehören außerdem die Absonderungsbescheide nach Ansicht des OGH nicht. Er hegt daher „Bedenken gegen die Vereinbarkeit … mit dem Grundsatz der Trennung von Justiz und Verwaltung“. Auch sonst hat die Regelung nach Ansicht der Höchstrichter einige Schwächen. So verweist das Epidemiegesetz etwa auf ein „völlig anderes Verfahren“ im Tuberkulosegesetz. Die Richter haben daher auch Bedenken was die Rechtsstaatlichkeit angeht. Die Verfassung verlangt vom Gesetzgeber ausreichend klare Formulierungen. Die Bürger müssen wissen, wer wofür zuständig ist und bei wem man sich darüber beschweren kann. Im konkreten Fall war dem Obersten Gerichtshof aber nicht ersichtlich, ob vor dem Bezirksgericht eventuell noch übergeordnete Behörden befasst werden müssten. Ihm sei „unklar, unter welchen Voraussetzungen das Gericht angerufen werden kann.“ Kritisiert wird auch, „dass das Gesetz keine Frist, zur Anrufung des Gerichts enthält“. Es bleibe „offen, für welchen Zeitraum und in welchem Umfang ein gerichtlicher Überprüfungsauftrag besteht.“ Sollte der VfGH die Ansichten des OGH teilen, wird sich der Gesetzgeber, wohl innerhalb einer angemessenen Reparaturfirst, einen neuen Rechtsschutz überlegen müssen. Auf seine bisherige Arbeit wirft der Antrag wieder einmal kein gutes Licht.