Die erste Bundespräsidentenwahl

Es ist dieser Tage 100 Jahre her, dass der erste österreichische Bundespräsident gewählt wurde. Dafür zuständig war damals noch die Bundesversammlung, ein Gremium, das sich aus National- und Bundesrat zusammensetzt. Keine der drei größten Parteien – Sozialdemokraten, Christlichsoziale und Großdeutsche – verfügte über eine Mehrheit, was sie aber nicht davon abhielt, ausschließlich eigene Parteigänger zu nominieren. Die Christlichsozialen hofften darauf, für ihren Bundesrat Viktor Kienböck die Zustimmung der Großdeutschen zu erhalten, verspekulierten sich damit aber ordentlich. Kienböck wurde zwar in vier Wahlgängen aufgestellt, dabei aber ebensowenig gewählt wie der Sozialdemokrat Karl Seitz oder der Großdeutsche Franz Dinghofer.
Die Parteizeitungen ließen an den jeweils anderen Kandidaten kein gutes Haar. Für die sozialdemokratische „Vorarlberger Wacht“ war Kienböck ein „Wiener Advokat zweiten Ranges, Typus Bezirkspolitiker und und höchst mittelmäßiger Versammlungsredner vom christlichsozialen Durchschnitt“. In der Kandidatensuche spiegle sich die „geistige Armut der christlichsozialen Partei“ wider. Das schwarze „Vorarlberger Volksblatt“ sah in den gescheiterten Wahlgängen ein Zeichen „der politischen Zerfahrenheit der Republik Österreich“.
Nachdem alles nichts geholfen hatte, stellten die Christlichsozialen im fünften Wahlgang einen Kompromisskandidaten auf, mit dem auch die Großdeutschen leben konnten. Der Ökonom Michael Hainisch war ausreichend unscheinbar, um Bundespräsident zu werden. „Über seine politische Richtung ist uns nichts bekannt“, meldete die Korrespondenz des „Volksblattes“ aus Wien. Hainisch wurde schließlich gegen die Stimmen der Sozialdemokraten gewählt. Diese hatten das Amt des Bundespräsidenten grundsätzlich abgelehnt und waren in allen fünf Wahlgängen unvermindert für den ehemaligen Parlamentspräsidenten Karl Seitz eingetreten, „in der richtigen Erkenntnis, daß die Wahl des Bundespräsidenten eine Sache der Bürgerlichen Parteien darstelle“, wie die „Wacht“ schrieb. Nach der Wahl Hainischs hielt der christlichsoziale Nationalratspräsident Richard Weiskirchner eine Rede, in der er sich auch beim interimistischen Staatsoberhaupt Seitz bedankte. Die rote Ländlezeitung „Wacht“ ließ trotzdem kein gutes Haar daran. Der ehemalige Wiener Bürgermeister Weiskirchner habe „seine alten theatralischen Fähigkeiten“ ausgepackt. Schließlich sei er schon in der Kaiserzeit „Arrangeur verschiedener Feierlichkeiten gewesen“. Und „so wie er damals sein Hoch auf den Monarchen, so brachte er diesmal ebenso feierlich sein dreifaches Hoch auf die Republik aus“.

Moritz Moser ist Journalist in und aus Feldkirch. Twitter: @moser_at