Herumgemosert: Die Probleme mit der Sterbehilfe

Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat die Strafbarkeit der Beihilfe zum Selbstmord für verfassungswidrig erklärt. Damit schafft er neue Probleme für den Gesetzgeber und sich selbst.
Als er 2016 die Auflösung eines Sterbehilfevereins zu verhandeln hatte, stieß er sich noch nicht an der nunmehr aufgehobenen Strafbestimmung. Seitdem hat sich die Rechtslage zwar nicht geändert, die Meinung des VfGH aber schon. Man habe damals nur die Vereinsauflösung und nicht das Gesetz selbst geprüft, wird in der aktuellen Entscheidung argumentiert. Das ist eine etwas schwachbrüstige Erklärung, zumal der VfGH vor vier Jahren auch die Gelegenheit gehabt hätte, selbst ein Gesetzesprüfungsverfahren einzuleiten. Damals hielt man die Bestimmung aber für „nicht verfassungswidrig, da der Gesetzgeber den ihm zustehenden Gestaltungsspielraum nicht überschritten hat, wenn er das generelle Verbot der Beihilfe zum Selbstmord als zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer als notwendig erachtet“.
Der Gerichtshof macht sich nun nicht die Arbeit, seine früheren Argumente zu widerlegen. Man könne der Auffassung nicht zustimmen, „wonach dem Gesetzgeber bei den Regelungen der Sterbehilfe ein weiter rechtspolitischer Gestaltungsspielraum zukomme“, heißt es jetzt. Wenn im Erkenntnis von 2016 „eine andere Auffassung als in dieser Entscheidung zum Ausdruck kommt, wird diese nicht aufrechterhalten“. Die harte Währung der Rechtsprechung heißt Verlässlichkeit. Sie wird infrage gestellt, wenn sich ein Höchstgericht ohne wesentliche Änderung der Rechtslage selbst widerspricht, ohne sich mit seinem früheren Standpunkt auseinanderzusetzen.
Ein weiteres Problemfeld eröffnet der VfGH mit seiner Erwartungshaltung an den Gesetzgeber. Der Verfassungsgerichtshof kann keine Gesetze beschließen, sondern nur aufheben. Nun heißt es, der Gesetzgeber habe dafür zu sorgen, dass Sterbehelfer sicher sein können, dass es Sterbewillige auch wirklich ernst meinen. Dem Verfassungsgerichtshof steht es nicht zu, dem Gesetzgeber irgendwelche Arbeitsaufträge zu erteilen. Er muss damit leben, wenn das Parlament nach einer Gesetzesaufhebung einfach untätig bleibt. Im konkreten Fall würde dies aber zu einer mittleren Katastrophe führen: Es fehlt jedes Verfahren, das festschreibt, welche Untersuchungen ein Sterbewilliger zu absolvieren hat, bevor er Sterbehilfe in Anspruch nehmen kann. Es gibt keinerlei Altersbeschränkungen. Außerdem könnte jeder Sterbehilfe leisten. Sobald Fragen nach der Entscheidungsfähigkeit der Verstorbenen aufkämen, müssten sich die Sterbehelfer womöglich wegen Mordes vor Gericht verantworten. Dieses Risiko ist der Verfassungsgerichtshof sehenden Auges eingegangen, im Vertrauen auf den moralischen Druck, der nun auf dem Gesetzgeber lastet.
Moritz Moser stammt aus Feldkirch, lebt und arbeitet als Journalist in Wien. Twitter: @moser_at