Alles für ein Fläschchen Hoffnung
Es war irritierend für alle Nicht-Wiener, Nicht-Niederösterreicher, als Impfkoordinator Clemens Martin Auer im Ö1-Morgenjournal ausführte, dass die ersten Coronaimpfungen Österreichs nur in Wien und Niederösterreich durchgeführt werden. Die ursprüngliche Situation hätte dazu geführt, dass es erst ab 11. Jänner die sehnlichst erwarteten Impfdosen über den Arlberg geschafft hätten.
Nach mehreren Erwähnungen des Missstands in dieser Zeitung und Bemerkungen des Landeshauptmanns in einem Videocall mit dem Bundeskanzler vergangene Woche wurde der Plan geboren, in allen Bundesländern die Impfung gleichzeitig zu beginnen, offenbar vor allem der historischen Fotos wegen. Vorarlberg wurde schriftlich vom Impfkoordinator mitgeteilt, man werde ein einziges Fläschchen mit dem begehrten Impfstoff per Hubschrauber geliefert bekommen – genug, um gerade mal fünf Personen zu impfen.
Man muss Gesundheitslandesrätin Martina Rüscher für ihren Mut gratulieren, weil sie gerade heraus den VN sagte: „Wir werden uns an der medialen Aktion nicht beteiligen.“ Sie gehe davon aus, „dass die gerechte Verteilung des Impfstoffs die richtige Wahl der Mittel ist“. Kaum in den VN veröffentlicht, klingelte spätabends das Telefon und das Bundeskanzleramt sagte Vorarlberg bis zu 975 Impfdosen zu. „Wie das schon längst geklärt worden ist“, hieß es von Bundeskanzler Sebastian Kurz. Allein dass weder Landeshauptmann Markus Wallner noch Gesundheitslandesrätin Rüscher von der „Klärung“ wussten. Sei’s drum: Vorarlberg bekommt nun, wie alle anderen Bundesländer auch, die Möglichkeit, mehrere Heime zu impfen. Das ist eine gute Nachricht, wie auch immer sie zustande gekommen ist. Die beste Nachricht ist, dass Vorarlberg mit Martina Rüscher eine Gesundheitspolitikerin hat, die vorbildlich agiert und nicht umsonst innerhalb nur eines Jahres zu Wallners wichtigstem Regierungsmitglied geworden ist.
Zu unterscheiden sind die kritische Reaktion des Burgenländer Landeshauptmanns Hans-Peter Doskozil und die Kritik von Vorarlbergs Gesundheitslandesrätin Rüscher. Während Martina Rüscher die PR-trächtige Aktion der Bundesregierung ablehnte, versprühte Doskozil Unsicherheit im Vorfeld der Impfung, stellte die Sinnhaftigkeit, die Sicherheit infrage. Als ob man den Impfstoff durch Prüfung etwa von der Burgenländer Sanitätsdirektion sicherer machen könnte. Es geht um Vertrauen. Bei keiner Zeckenimpfung, bei keiner Kinderlähmungsimpfung in der Vergangenheit waren die Geimpften selbst oder Landeshauptleute in der Lage zu überprüfen, ob der Impfstoff wirkt, ob er sicher ist. Es braucht Vertrauen. Vertrauen in die Forschung, Vertrauen in die Transparenz und wechselseitige Kontrolle der Wissenschaft. Kein Impfstoff ist an mehr Probanden getestet worden, obwohl es so schnell ging. Politische Zu- oder Abneigungen haben in diesem Vertrauensverhältnis nur wenig verloren: Es geht also nicht um die Politik.
Deshalb ist begrüßenswert, dass in der Medizin-Uni geimpft wird, dass jetzt Ärztekammerpräsident und Medizinerinnen auch in Pressekonferenzen im Mittelpunkt stehen. Vorige Woche noch war geplant, dass Innenminister Karl Nehammer die Impfstofflieferung aus dem Pfizer-Produktionswerk in Belgien am 26.12. an der Grenze zu Passau gemeinsam mit dem oberösterreichischen Landeshauptmann empfangen soll, um sie nach Wien zu bringen. Es besteht noch Hoffnung, dass dieser Termin „nie geplant war“ oder „längst abgesagt ist“.
Es ist jetzt nicht die Zeit für PR-trächtige Fotos. Wir stehen mitten in der schwersten Prüfung unserer Zeit. Und es ist erstmals das Ende der Pandemie als Silberstreif am Horizont erahnbar.
Gerold Riedmann ist Chefredakteur der Vorarlberger Nachrichten.
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