Von Weihnachten und der Frage, wer da wen rettet

Wenn uns das Jahr 2020 eines gelehrt hat, dann den Wert guter Beziehungen, sagt Abt Vinzenz Wohlwend.
War es ein schwieriges Jahr? „Es war von vielen Emotionen geprägt.“ Abt Vinzenz Wohlwend denkt dabei nicht nur an Corona. Dabei hat die Pandemie in seinem Kloster gewütet und einen Mitbruder das Leben gekostet. Doch davon später.
Abt Vinzenz ist ein grundpositiver Mensch. Zunächst lässt er „wunderschöne Erlebnisse“ Revue passieren. Er denkt an die Einkleidung von Frater Bonaventura am 20. August, dem Tag des heiligen Bernhard von Clairvaux. Frater Bonaventura ist Anfang 30 und kam aus Freiburg im Breisgau nach Bregenz. Frater Maurus aus Dinkelsbühl hat im Sommer seine ewigen Gelübde abgelegt. Frater Johannes ist aus dem aufgehobenen Trappistenkloster Mariawald in die Mehrerau übergetreten. Und am 18. Oktober hat der 45-jährige Philipp aus Tschechien seine Kandidatur begonnen. Der hat bis vor Kurzem in der Automobilindustrie gearbeitet, als Werbefachmann. „Irgendwann ist ihm sein Smartphone dann zu viel geworden“, schmunzelt Abt Vinzenz. „,Was ist das für eine Work-Life-Balance?‘, hat er sich gefragt. Das ist ja nur noch Work…‘“ So fand er ins Kloster. In der Mehrerau leben heute 18 Mönche. Der Konvent wächst wieder.
Segen im Krankenwagen
Aber das Jahr trug auch andere Gesichter. Vier Mönche sind in der Mehrerau an Corona erkrankt, Abt Vinzenz war einer von ihnen. „Spaziergang war das keiner“, gibt er zu erkennen, dass er einen schwierigeren Verlauf durchgestanden hat. Andere hatten weniger Glück. Der langjährige Bibliothekar des Zisterzienserklosters, Pater Karl Peter, hat die Pandemie nicht überlebt. „Ich bin gerade von meinem zweiten Coronatest nach meinem persönlichen Lockdown zurückgekommen, als ich den Krankenwagen vor der Klosterpforte sah“, erinnert sich Abt Vinzenz. Er ist noch rasch zu Pater Karl ins Auto gestiegen und hat ihm den Segen erteilt. „Im Krankenhaus besuchen durfte ihn dann keiner mehr von uns“, sagt Abt Vinzenz. „Das hat vielen sehr wehgetan.“
Lerneffekt 2020
In der schwierigsten Zeit dieses Jahres mussten die Mönche aufs Chorgebet verzichten, das ihre Tage sonst rahmt und strukturiert. Der Gesang war ihnen verboten. „Nur die Messe haben wir uns nicht nehmen lassen“, aber Vinzenz hat Alt-Abt Kassian Lauterer noch im Ohr mit den Worten „das waren traurige Veranstaltungen“. Und doch hielten diese Wochen und Monate auch einen sehr großen Lerneffekt bereit, dass es nämlich nichts Wichtigeres gibt, „als Beziehungen gesund leben zu können“. Zu Gott und zu den Mitmenschen. „Da dürfen wir nichts darüber stellen.“ Und tun es doch so oft.
Wer rettet da wen?
Diese Essenz aus dem Coronajahr 2020 führt Abt Vinzenz geradewegs zum Weihnachtsfest. „Denn es stellt den Menschen in die Mitte. So wichtig ist er, dass Gott selber Mensch wird, um uns zu retten.“ Abt Vinzenz hat in den Nachrichten wieder und wieder davon reden hören, wie wir noch auf den letzten Drücker das Weihnachtsfest retten können. Und er hat sich geärgert dabei. „Wer rettet da eigentlich wen?“, fragt der Abt von Mehrerau und gibt gleich selbst die Antwort: „Nicht wir müssen Weihnachten retten, Weihnachten rettet uns!“
Auch wenn wir es heuer ganz anders feiern werden? „Ja, vielleicht ja auch viel bewusster“, entgegnet Abt Vinzenz. „Vielleicht fragen wir uns heuer: Worum geht es eigentlich? Vielleicht erfahren wir heuer, wie sehr wir aufeinander angewiesen sind? Wie wichtig es gerade jetzt ist, Beziehungen zu leben, freilich mit Rücksicht und großer Vernunft.“ Abt Vinzenz denkt an die kleine Tochter seines Göttibuben, die im Frühjahr ihren Opa nicht mehr sehen durfte. Nur dann und wann am Computer, via Skype. „Und dann hat sie jeden Morgen auf das dunkle Tablet gezeigt und gefragt: Wo ist Opa? Der Großvater hat unter der Trennung gelitten wie ein Hund.“ Deshalb stellt Abt Vinzenz an den Eingang zum Weihnachtsfest die dringliche Bitte: „Wir dürfen die Alten nicht vergessen. Wir müssen unsere Eltern und Großeltern im Spiel der Beziehungen drinnen lassen. Ihnen zeigen, egal wie alt sie sind, dass sie Teil der Gesellschaft sind, und wir müssen die Beziehung zu ihnen leben!“ Mit Gesten, gelebten Ritualen, „sodass wir selber zur Menschlichkeit zurückfinden“.
Warum nicht von Hand?
So ein Weihnachten würde uns aufmerksamer dafür machen, was Menschen wirklich brauchen. „Wir verschicken massenhaft WhatsApp, SMS und andere Nachrichten, wie wirkte da wieder einmal ein handgeschriebener Gruß? Es wäre ein Ausdruck der Mühe und der Wertschätzung. „Und wenn es nur zwei, drei Zeilen sind. Mit der Handschrift gibst du so viel von dir preis…“
Hat der Abt Wünsche für das kommende Jahr? Er hat heuer viel lernen dürfen, sagt er. Und ein gutes Miteinander erfahren, im Kloster, in der Kongregation, in der Bischofskonferenz. Sein großes Vorbild ist Bischof Benno Elbs. „Mein großer Wunsch wäre es, dass wir aus dem Jahr 2020 lernen. Dass wir wertschätzen, was wir haben, dass wir mit Menschen unterwegs sein dürfen, die uns helfen, ein gesundes und solides Leben zu führen.“ Abt Vinzenz wünscht sich, „dass wir unnötige Egoismen zurückstellen“. Angst hat er vor der Zukunft nicht. „Was ich aber sicher glaube, ist, dass die Herausforderungen dieser Seuche noch nicht bewältigt sind. Das wird uns noch eine Weile begleiten. Wenn wir aber als Gesellschaft zusammenstehen und auf einander schauen, dann können wir durchaus in eine gute Zukunft gehen.“
Für viele stellt Corona freilich wirtschaftlich eine riesige Herausforderung dar, da gibt sich Abt Vinzenz keiner Illusion hin. „Aber ich hoffe, dass wir in unserem Sozialsystem ein Netz haben, das diese Menschen auffängt, sodass sie auf den Beinen landen können, um wieder neu anzufangen.“ Dem Staat wünscht der Mehrerauer Abt „den Mut dazu, in die Menschen zu investieren, damit sie wiederaufbauen können“.


Zur Person
Vor zwei Jahren wurde der 51-jährige Liechtensteiner Vinzenz Wohlwend zum 54. Abt der Abtei Wettingen und zum 11. Prior von Mehrerau gewählt und vom Papst bestätigt. Abt Vinzenz war selber hier Schüler, von 1981 bis 1989 besuchte er das Gymnasium der Zisterzienser in der Mehrerau. Nach der Matura studierte er Theologie in Salzburg, Einsiedeln und Benediktbeuren. 1990 trat er als Novize ins Kloster Mehrerau ein. Von 1997 bis 2009 war er Erzieher am Collegium Bernardi, seit 1999 ist er dort Religionslehrer.