Leben und Tod?
Sebastian Kurz hat in letzter Zeit einige Fans verloren. Das liegt nicht nur am fehlerbehafteten Corona-Management – Stichwort: Höchstzahl an Infizierten gemessen an der Bevölkerung. Das liegt auch am geradezu zynischen Festhalten bezüglich der Nichtaufnahme von wenigen Flüchtlingen aus den Lagern auf Lesbos, geschuldet der Rücksichtnahme auf jene früheren FPÖ-Wähler, die er auf seine Seite ziehen konnte. Dafür brechen ihm eigene Leute weg. Wenn einmal Tiroler Bauernbündler einen Brief an den „lieben Sebastian Kurz“ schreiben, in dem sie ihn an einen Wahlslogan erinnern („Einer, der auf unsere Werte schaut“) und eben diese Werte in der christlichen Partei vermissen, dann sind selbst Kernschichten der ÖVP mit dem Kanzler nicht mehr einverstanden.
Aber auch wer Kurz nicht mag, wird zugeben müssen, dass die Idee mit den Massentestungen kurz vor Weihnachten richtig war. Sie ist am Wettrennen der Länder über die Pole-Position bei den Tests gescheitert. Doch plötzlich wurden die vor Weihnachten nochmals eingerichteten Teststraßen geradezu gestürmt. Das zeigt, dass die Menschen verantwortungsbewusst handeln, wenn sie einen Sinn in einer Maßnahme sehen. Etwa, wenn man auf Nummer Sicher gehen will, beim Fest die eigene Familie nicht anzustecken.
Werden die Menschen auch bei der Impfung verantwortungsbewusst handeln? Ich meine ja, wenn man sie überzeugen kann. Sogar ein Kurz-Intimus, Wirtschaftskammer-Präsident Mahrer, meint: „Impfen ist keine Frage der Politik, sondern der Wissenschaft.“ Der Vorarlberger Gesundheits-Experte Armin Fidler fordert eine andere Strategie der Kommunikation und meint, dass Pressekonferenzen, Statements von Politikern und irgendwelchen Experten da nicht ankämen. Es brauche Meinungsbildner und Vorbilder. Der Bundespräsident wurde, in der „NEUEN am Sonntag“, auf diesen Zwiespalt angesprochen, ob Politiker mit gutem Beispiel vorangehen sollen oder dabei riskieren, sich in den Vordergrund zu stellen. Eine berechtigte Frage, wenn man sich die Bilder der ersten Impfungen bei uns mit dem Massenauflauf von Politikern vor Augen hält. Der Bundespräsident, elegant, dazu: „Ich werde klar und offen zur Impfung kommunizieren, dass sie etwas sehr Positives ist und der Nutzen die Risiken weitaus überwiegt. Gleichzeitig werde ich mich nicht vordrängen. Aber wenn ich dran bin, lasse ich mich gern impfen.“ Für die, für die ein Politiker nicht als Vorbild taugt, sei ein anderer Promi zitiert, Sepp Forcher in einem SN-Interview zum 90. Geburtstag: „Die Dummheit des Menschen ist das Einzige, wogegen bis heute kein Impfstoff entwickelt werden konnte. Ich nehme das Impfen gern in Kauf.“ Doch was sagt ein gut halb so alter Politiker zum Thema? „Jeder Mensch hat das Grundrecht auf die körperliche Unversehrtheit. Es gibt keine Langzeitstudien über Nebenwirkungen“ (FPÖ-Chef Hofer in einem Inserat). Der burgenländische Landeshauptmann Doskozil sieht eine Reihe offener Fragen. Ob die Impfung gentechnisch verändere oder die Impfung nur den Verlauf ändere. Die Fragen sind längst wissenschaftlich geklärt. Doskozil hätte das durch einfaches Googeln selbst beantworten können.
Das neue Jahr wird das Jahr der Impfdebatte. Noch immer ist vielen nicht klar, dass das eine „Frage von Leben und Tod“ ist (Der „SPIEGEL“). Leben und Tod. Oder auf österreichisch: Werden die Forchers und Van der Bellens gewinnen oder die Hofers und Doskozils?
„Das zeigt, dass die Menschen verantwortungsbewusst handeln, wenn sie einen Sinn in einer Maßnahme sehen.“
Wolfgang
Burtscher
wolfgang.burtscher@vn.at
Wolfgang Burtscher, Journalist und ehemaliger ORF-Landesdirektor, lebt in Feldkirch.
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