„Corona ist ein guter Lehrmeister“

Rauch ist überzeugt: Im Klimaschutz braucht es so radikale Maßnahmen wie in der Pandemiebekämpfung.
Bregenz Nach der Krise ist vor der Krise: Grünen-Chef Johannes Rauch ist im VN-Interview überzeugt, dass die Menschen nach Corona die Klimakrise besser einschätzen können. Er ist sich sicher, dass ebenfalls radikale Maßnahmen notwendig sind.
Herr Rauch, wie haben Sie Weihnachten gefeiert?
Rauch Unspektakulär. Wir sind eine Großfamilie mit sechs Geschwistern. Aber es gibt kein Familientreffen. Einen Einzelbesuch bei meiner Mutter. Das wars.
Wie groß sehen Sie die Chance, dass Sie zu Weihnachten in einem Jahr eine Familienfeier abhalten können?
Rauch Wenn wir es schaffen, das erste Halbjahr halbwegs zu bewältigen und möglichst viele zur Impfung zu motivieren, dann halte ich es für möglich.
Beim Massentest hat es mit der Motivation nicht geklappt. Wie soll das bei der Impfung funktionieren?
Rauch Die Diskussion über das Impfen muss man auf Grundlage der österreichischen Bioethikkommission führen. Sie findet mehrere Gründe, warum es für eine Impfpflicht keine Veranlassung gibt. Impfen ist ein körperlicher Eingriff. Es fehlen die Erfahrungswerte. Deshalb ist es ein Angebot, das man aber nutzen soll. Ich würde dringend dazu raten. Eigentlich müssen wir froh sein, dass wir in Mitteleuropa die Ersten sind, die das Privileg haben, sich impfen zu lassen. Das Privileg, ein Stück Freiheit zurückzubekommen.
Wird es zu Weihnachten in einem Jahr wieder möglich sein, über andere politische Themen zu diskutieren?
Rauch Mich bewegt die Frage, wie die Welt nach Corona aussieht. Es ist noch nicht klar, was die Pandemie mit uns gesellschaftlich macht. Mein Enkel wächst mit der Wahrnehmung von Menschen mit Masken auf. Seit Monaten kann man nicht mehr im Wirtshaus sitzen und mit Freunden ein Bier trinken. Es findet kein gesellschaftliches Leben mehr statt. Die Menschen sind am Anschlag. Gleichzeitig kommen Transformationsprozesse in Gang.
Welche?
Rauch Bestimmte Dinge werden nie wieder so sein wie vorher. Manche werden versuchen, das Rad zurückzudrehen. Das wird sich nicht spielen. Ein praktisches Beispiel: Der Radverkehr hat durch Corona 15 bis 20 Prozent zugenommen. Da werden Zehnjahresentwicklungen gemacht. Die Transformation in der Automobilindustrie bekommt einen riesen Schub. Die Zeit, die uns jetzt bleibt, das 1,5-Grad-Ziel von Paris zu erreichen, ist mit der Suche nach dem Impfstoff zu vergleichen. Eine kollektive Anstrengung mit Geld ohne Ende hat zum Impfstoff geführt. Die Klimakrise hat mindestens dieselbe Dimension. Corona zeigt, was möglich ist, wenn die Dringlichkeit erkannt wird. Bisher war das beim Klima nicht der Fall.
Braucht es also auch so radikale Maßnahmen wie bei der Pandemiebekämpfung?
RaucH Exakt. Alle Regierungen der Welt müssen sich darauf verständigen, wie bei Corona. Sie müssen die Konsequenz haben zu sagen: So Leute, wir haben unser CO2-Budget ausgeschöpft. Das würde bedeuten: Es darf nichts mehr in die Luft geblasen werden.
Dann dürfen keine Autos mehr fahren, kein Haus mehr mit Öl oder Gas geheizt werden?
Rauch Wenn man immer weniger CO2 in die Luft blasen darf, wird es teurer. Das wird sich in der CO2-Bepreisung abbilden. Das wird das ganze Steuersystem verändern. Es wird eine gesellschaftliche und industrielle Revolution. Auch die Lebensgewohnheiten ändern sich. Corona ist da ein guter Lehrmeister.
Eine industrielle Revolution?
Rauch Ich vergleiche das mit der Textilindustrie, als sie in wenigen Jahren eingegangen ist. Ein Beispiel: Die Textilschule war lange das Herzstück der Bildung in Vorarlberg. Heute ist es die FH. Sie ist wichtig, unser wertvollster Rohstoff ist Bildung. Deshalb ist die Sache mit der europäischen Universität keine Spielerei. Das Modell würde Standorte vernetzen, Know-how ins Land holen und wir wären attraktiv für junge ausgebildete Leute.
Wieso will man das nicht?
Rauch Das sind alte Ressentiments. Man hat Angst, dass man sich kritische Geister ins Land holt, die vielleicht Widerstand leisten, vielleicht zu intellektuell sind. Früher hieß es: Mit einer Uni kommt das ganze linke Gesindel ins Land.
Wer ist „man“?
Rauch Der strukturkonservative Teil, nicht nur der Gesellschaft, sondern auch der ÖVP. Am Ende geht es aber um Nachfrage am Arbeitsmarkt.
Die neuen Züge sollten seit Sommer 2019 in Vorarlberg fahren. War der Zeitplan zu straff?
Rauch Niemanden nervt es mehr als mich. Der Zeitplan war vielleicht zu straff. Aber das war eine Sache zwischen ÖBB und Bombardier. Ich hoffe, dass sie es jetzt auf die Reihe bekommen. VN-MIP