Im Neuen Jahr
Im Neuen Jahr ging ich mit Turnschuhen auf den Schlossberg, es war rutschig, und kam ich drei Schritte voran, rutschte ich zwei Schritte zurück. Am Wegrand lag etwas Laub, darauf trat ich dann mit Bedacht, kam sehr langsam voran, und als ich endlich auf dem Berg war, ließ ich mich erschöpft in den Schnee fallen. Da kam ein Reh vorbei und fragte mich, warum ich bei dieser Kälte im Schnee sitze. Ich wunderte mich nicht und sagte, das sei wegen der Erschöpfung. Das Reh sagte, es wäre unklug von mir, in Turnschuhen auf den Berg zu gehen, wo es doch Spikes zu kaufen gebe.
Es war am frühen Morgen, noch im frühen Dämmer und kein Mensch außer mir unterwegs. Deshalb beschlossen die Tiere, auf mich aufzupassen. Ein Hirsch drängte sich an meinen Rücken und wärmte mich. Ich sah Schneehasen an mir vorbeiflitzen.
Es war im Neuen Jahr, ich lag im Bett und träumte, besser zu träumen, als auf dem Eis auszurutschen. Mein Mann würde mir im Internet Spikes für meine Turnschuhe bestellen. Dann könnte ich sicher oben ankommen. Es war so schön zu träumen, kurz wachte ich auf. Ich öffnete weit die Fensterflügel, legte mich wieder ins Bett und mit der Schneeluft um meinen Kopf schlief ich ein. Die Katze hüpfte auf mein Bett und schnurrte. Das sollte heißen: Hunger.
Ich sagte zu ihr im Halbschlaf, sie solle noch warten, in zwei Stunden würde ich aufstehen, dann, wenn die Sonne aufgeht.
Wieder war ich in einer Winterlandschaft, diesmal stapfte ich im Schnee. Es war so mühsam, der Schnee reichte mir bis über die Knie. Ich zog meinen Anorak aus, setzte mich darauf, hielt mich an den Ärmeln fest und sauste in die Tiefe. Ich landete in einem Schulhof. In diesem Schulhof war ich vor sechzig Jahren gestanden und hatte an die Tür geklopft. Niemand hatte mir aufgemacht. Weil niemand da war. Weil es die Schule nicht mehr gab.
Also flüchtete ich mich wieder in meinen Traum, fand aber keinen Anschluss. Ich rieb mir die Augen, und treppab ging ich in die Küche, trank einen starken Kaffee und öffnete die Haustür, um die Zeitung zu holen. Da rutschte ich auf dem Eis aus und fiel auf meine Knie, meine Schwachstelle, kaum konnte ich aufstehen. Ich zog die Zeitung aus dem Briefkasten und schleppte mich in die Küche. Dort schaltete ich das Backrohr auf Höchststufe, die Heizung lief noch nicht. Ich las: „Die Saison haben wir abgehakt.“
Ich wünsche mir den Frühling herbei, die Frühlingsboten, Schneeglöckchen, Schlüsselblumen, Krokusse …
„Also flüchtete ich mich wieder in meinen Traum, fand aber keinen Anschluss.“
Monika Helfer
monika.helfer@vn.at
Monika Helfer ist Schriftstellerin und lebt in Hohenems.
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