Der Pöbel im Parlament

Bizarre Szenen spielten sich am vergangenen Mittwoch im und um das US-Kapitol ab: Eine schockierte Parlamentsstürmerin beschwerte sich bei Medienvertretern, dass sie beim Versuch eine Tür einzutreten von einem Polizisten mit einem Schlagstock abgewehrt worden sei, als wäre das nicht die logische Konsequenz ihres Handelns. Ein anderer hatte unter seinem Trump-Banner die Flagge Georgiens befestigt, die er wohl mit jener des US-Bundesstaates Georgia verwechselt hatte. Einige derjenigen, die an diesem barbarischen Akt gegen die US-amerikanische Demokratie teilnahmen, machten wirre Angaben über ihre Gründe und Ziele. Sie glauben fest an eine Wahlfälschung, die der US-Präsident als Tatsache darstellt, ohne sie beweisen zu können. Seine Anhänger stört das nicht. Sie haben sich längst ihre eigene Realität geschaffen, die sie je nach Bedarf neu interpretieren und umgestalten, ganz wie ihr Vorbild im Weißen Haus.
Was Medien berichten, wird nicht mehr kritisch hinterfragt, sondern insgesamt als Lüge empfunden. Und Empfindungen sind mittlerweile vielen wichtiger als Fakten. Wer fühlt hat recht. Man glaubt etwas, weil man es glauben möchte, nicht weil es glaubhaft ist. Die Früchte dieser völligen Entrationalisierung des Politischen sind giftig. Selbst, dass das Kapitol von rechtsextremen Wahnsinnigen gestürmt worden war, bezweifelten manche. Die Antifa habe sich unter die Demonstranten gemischt, behaupteten sie. Was spielt es da für eine Rolle, dass in der ersten Reihe der Selbstgerechten, die das Kapitol erstürmten, ein bekannter und bekennender Extremist im Bisonkostüm stand? „Murder the Media“ schrieb einer der Eindringlinge an die Tür eines Büros im Kongress. Ein anderer trug einen Pullover mit der Aufschrift „Camp Auschwitz“. Mit Fakten macht man bei diesen Menschen keine Meter mehr. Dort gilt: Je kruder die Theorie, desto glaubwürdiger. Prominente verjüngen sich mit dem Blut von Kindern? Warum nicht? Echsenmenschen beherrschen die Erde? Natürlich! Im Weltbild dieser Obskuranten gehört eine Wahlfälschung zulasten Trumps noch zu den weniger verrückten Verschwörungstheorien. Solche Spinner hat es immer gegeben, neu ist allerdings die Dimension ihres Einflusses. Die Republikaner haben sie als Alliierte gewonnen, aber zu einem hohen Preis. Ob sich deren Elite, die sich regelmäßig vor Trump und seinen Lügen selbst erniedrigt hat, nun aus den Fängen seiner Anhänger befreien kann, ist fraglich. Die Demokratie konnte erst angegriffen werden, als die Wahrheit schon tot war.
Moritz Moser ist Journalist in und aus Feldkirch. Twitter: @moser_at