Eine Warnung
Am Ende ist US-Präsident Donald Trump vor sich selber erschrocken und hat verurteilt, was auf seine Kappe geht: die Erstürmung des Kapitols. Er hatte seine Anhänger dorthin beordert. Mit nie belegten Behauptungen hatte er sie immer wieder angestachelt, wonach ihnen, vor allem aber ihm, ein Wahlsieg gestohlen werde. Das Parlament hatte er damit genauso kriminalisiert wie die Gerichte, die damit befasst waren. Kein Wunder, dass seine Leute glaubten, nun durch Selbstjustiz dafür sorgen zu müssen, was sie unter Gerechtigkeit verstehen: die Abgeordneten daran hindern, das Wahlergebnis zu bestätigen.
Vergleichbares hat sich in Europa seit Jahrzehnten nicht mehr zugetragen. Sorglosigkeit wäre dennoch verfehlt. In Deutschland gab es im vergangenen Sommer einen Sturm auf den Reichstag. Auch das war ein unerträglicher Angriff auf die Demokratie: Rechte Gruppen und Verschwörungstheoretiker wollten gewissermaßen an die Stelle des vorhandenen Staates treten. Sie maßten sich an, das Volk, also der Souverän zu sein.
In der Coronakrise sind diese Kreise gewachsen und sichtbarer geworden. Sie behaupten, dass alles nur Lug und Trug sei und dass es ausschließlich darum gehe, eine rechtlose Knechtschaft heranzuzüchten. Dass große Persönlichkeiten wie Angela Merkel ausdrücklich erklären, dass die Pandemie mit all den Notmaßnahmen und Freiheitsbeschränkungen eine demokratische Zumutung sei und Kritik nicht nur geduldet, sondern eingefordert werden müsse, ignorieren sie. Sie setzen lieber Taten. Das entlarvt sie.
Auch in Österreich gibt es sie. Die Radikalsten dieser Szene heften sich einen Stern an die Brust oder wünschen Bill Gates den Tod. Allein von daher muss man ihnen entgegentreten: Hier ist ein Keim, der in einer länger andauernden Krise noch bedrohlicher werden kann.
Das einzige Glück ist, dass es im deutschsprachigen Raum keinen wortgewaltigen Führer gibt, der all die Verwegenen anstachelt, um mit ihrer Hilfe mächtig zu werden. Genau das ist das Entscheidende: Es gibt immer zehn, 20 Prozent, die mit der Demokratie nichts am Hut haben; die von Meinungsvielfalt genauso wenig wissen wollen wie von Minderheitenschutz. Es gibt immer zu viele, für die Politiker, Parteien, Wissenschaftler, Künstler, Journalisten, Unternehmer und andere einfach nur ein sogenanntes „Establishment“ bilden, das sie verachten. Sie müssen nur mobilisiert werden.
In den USA sind sie vielleicht zahlreicher. „Washington“ wird von weiten Teilen der Bevölkerung seit Jahrzehnten gehasst. Donald Trump hat darauf gesetzt und sich dafür angeboten, dem politischen System der Vereinigten Staaten seine Fratze zu zeigen und es zu zerstören, wo immer es ihm möglich ist.
Dieser Spuk wird in wenigen Tagen vorbei sein. Eine Warnung bleibt jedoch: Einen Gefährder wie Trump kann es überall sehr schnell (wieder) geben, wenn Demokratie nicht gepflegt wird, radikale Strömungen unterschätzt werden und Populisten alle Hemmungen verlieren.
„Es gibt immer zehn, 20 Prozent, die mit der Demokratie nichts am Hut haben. Sie müssen nur mobilisiert werden.“
Johannes Huber
johannes.huber@vn.at
Johannes Huber betreibt die Seite dieSubstanz.at – Analysen und Hintergründe zur Politik.
Kommentar