Schnee
Das Wort ist weiß und luftig wie Schnee. Als Kind schleppte ich mit Mühe eine Leiter vor das Rondell vor unsrem Haus, legte sie an und kletterte hinauf. Ich sah in einen Abgrund von Schnee, drückte meine Augen zu und ließ mich fallen. Ich war nicht mehr zu sehen. Ich selber sah nichts mehr. Mit einer Schaufel holte mich die Tante ans Licht, sie schrie und schimpfte. Im Haus wurde ich ausgezogen und abgerieben, bis meine Haut rot war.
Mit den Schiern abwärts fuhren wir in die Schule und waren schneller dort als zu Fuß. Der Weg zurück war mühsam, vor Kälte wurden unsere Zehen steif, auch die Finger, die Lippen rau und aufgerissen.
Ein anderes Mal stand ich auf einem Berg und solche Lust überkam mich hinunterzustürzen, es war ein Gefühl wie damals im Schnee.
Im Schnee stapfen ist, als wäre man in einer anderen Zeit. In schneelosen Zeiten sehnen sich die Menschen nach Schnee und kommt er dann überraschend heftig, türmen sich Massen auf den Wegen und vor dem Haus, dann jammern die Erwachsenen. Mühsam schaffen sie schmale Gänge. Nur Kinder spielen mit dem Schnee, bauen Männer mit Karottennasen, werfen mit Schneeballen, und wollen sich auf die Pflugschaufel setzen. „Wir hatten doch eine Rodel“, sagt die Frau „ich finde sie nicht, wahrscheinlich haben wir sie weggeben, weil wir dachten, es wird nie mehr Schnee geben.“
Ein Mann, nicht gesund am Herzen, rafft sich auf, um zu schaufeln, nach ein paar Stichen atmet er tief durch. Ein Vorbeieilender bietet ihm Hilfe an. Er ist nicht mehr jung, aber gesund und kräftig. Er wolle zuerst nur noch einen kleinen Ausflug auf die Höhe unternehmen, dann wäre er bereit.
Nach Mittag steht er da, stellt seinen Rucksack ab und beginnt.
Er schaufelt den Weg frei, klettert mit einer Leiter auf ein Flachdach und räumt die Schneeberge fort. Der Mann arbeitet über zwei Stunden und wollte keinen Lohn, sagte, es gäbe eben Dinge die man umsonst macht. Solche Menschen machen die Welt besser, man darf nicht vergessen, dass es sie gibt.
Die Katzen schleichen um die Kellerfenster, sie wollen an die Wärme.
„Papa, bau mir ein Haus aus Schnee, ich will dann darin wohnen und ihr, Mama und du, könnt mich besuchen. Bis in den Frühling will in dort bleiben und so lange könnt ihr mein Zimmer vermieten.“
„Alles ist so sauber, als gäb es keinen Dreck“, sagt die alte Frau, und zu den Nachbarskindern: „Geht nicht durch meinen Schnee, ihr zerstört die Schönheit.“
„Im Schnee stapfen ist, als wäre man in einer anderen Zeit.“
Monika Helfer
monika.helfer@vn.at
Monika Helfer ist Schriftstellerin und lebt in Hohenems.
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