Die ersten Impfgegner

Bereits die erste große Impfkampagne, jene gegen die Pocken, hatte mit großen Widerständen zu kämpfen. Einerseits war diese erste Impfung, im Gegensatz zu den meisten modernen Mitteln, nicht frei von Nebenwirkungen und konnte auch aufgrund der unterentwickelten medizinischen Hygiene zu Problemen führen, andererseits warfen sich schon früh Scharlatane ins Feld, die aus verschiedenen Gründen gegen die Schutzimpfung mobil machten. Etliche von ihnen kamen aus der Naturheilbewegung und sahen im Impfen etwas Künstliches, nicht wenige waren auch Antisemiten und Anhänger der Deutschnationalen.
Als 1907 erneut die, damals meist Blattern genannten Pocken ausbrachen, wurde im niederösterreichischen Landtag die Impfpflicht diskutiert. Diese hatte in Schweden die Todeszahlen innerhalb weniger Jahre um das fünfhundertfache gesenkt. Die „Wiener Monatagspost“ wetterte jedoch gegen das Ansinnen und lobte vielmehr „die aufopferungsvolle Kulturarbeit der Impfgegner“. Sie würden, so schrieb das Blatt ohne jede Ironie, zu Recht versuchen, „die hygienischen Fortschritte“ der modernen Medizin „zu hemmen und aufzuhalten“. Schon im Interesse der Kinder, „die wir grenzenlos lieben“, müsse man sich doch ein kritisches Urteil über die Impfung bilden. Außerdem erhob man einen Vorwurf, den man auch bei modernen Verschwörungstheoretikern gerne findet, die die Wirkung von Impfungen in Zweifel ziehen: „Die Impfstatistiken sind alle Falsch, um nicht zu sagen, gefälscht und mit Statistiken kann man Alles beweisen, auch daß zwei mal zwei fünf ist!“ Vielmehr nähmen die Pockenerkrankungen trotz Impfpflicht zu, behauptete die Zeitung. Tatsächlich waren die Todesfälle durch die Impfanstrengungen seit der ersten Impfung in Wien im Jahre 1799 bereits deutlich reduziert worden. So starben in Niederösterreich zwischen 1777 und 1806 im Schnitt noch 0,25 Prozent der Bevölkerung an den Pocken, in den Jahren bis 1850 waren es nur noch 0,03 Prozent.
Unter den renitenten Impfgegnern gab es jedoch auch Belehrbare. So berichtete die „Vorarlberger Landes-Zeitung“ 1896 über einen Ärztekongress, bei dem das Wort auf einen verstorbenen Wiener Arzt, einen gewissen Prof. Polak kam. Dieser hatte 1852 die österreichische Hauptstadt im Streit über die Impfung, deren erbitterter Gegner er war, verlassen, um der Leibarzt des Schahs von Persien zu werden. Als er aber in den Orient kam und bemerkte, dass dort von 100 Sklaven „wenigstens die Hälfte starben, da änderte ich meine Ansicht.“ Bald darauf sei der gesamte kaiserliche Hof von Persien geimpft worden. Die Pocken gelten dank der Impfung seit 1980 als ausgestorben, die Impfgegner hat das trotzdem nicht belehrt. Ob der Menschheit in absehbarer Zeit noch einmal die Ausrottung einer Krankheit gelingen wird, darf daher bezweifelt werden.
Moritz Moser ist Journalist in und aus Feldkirch. Twitter: @moser_at