Der Ski-Disput: In zwei Welten
Die Ausnahmesituation, in der wir nun schon seit März vergangenen Jahres leben, holt ja nicht das Beste aus den Menschen heraus, leider. Eine traurige Erkenntnis, die sich mit zunehmender Dauer und Unüberblickbarkeit der Pandemie verfestigt, die unschöne Konflikte und Bruchlinien zwischen den Gruppen immer deutlicher zutage treten lässt. Jene Spaltung im Land, die vielen erst im endlosen Bundespräsidentschafts-Wahlkampf 2016 so richtig bewusst wurde, verschärft sich unter dem Druck der Ausnahmesituation zusehends.
Gerade die Polarisierung zwischen Stadt und Land, zwischen Osten und Westen, zwischen urbanem und ländlicherem Lebensstil gibt einem das Gefühl, als lebten wir in zwei Welten. In einem kleinen Land mit 9 Millionen Menschen. Alleine wie manche in der Stadt ausgerechnet das Skifahren in den westlichen Bundesländern zum Inbegriff der unsolidarischen Blödheit und Bosheit in der Pandemie hochstilisieren, als wäre der Skisport einzelner Familien eins zu eins gleichzusetzen mit Superspreader-Events in Après-Ski-Bars, bei denen sich die Betrunkenen gegenseitig im Nahkontakt fragwürdige Schlagermusik ins Gesicht schreien. Oder wie es die ehemalige Skirennläuferin Nicola Werdenigg kürzlich auf der Social-Media-Plattform Twitter formuliert hat: „Könnten wir im hitzigen Diskurs manchmal ,Ski fahren‘ durch ,Skilift fahren‘ ersetzen? Das könnte ein klitzekleinwenig zur innerösterreichischen Entspannung beitragen.“
Etwas Freiraum für alle
Das Rausgehen in den Schnee, um dort ein paar Schwünge zu ziehen, gehört für viele im ländlichen Gebiet zum Leben dazu, man kann diese Freizeitaktivität auch verantwortungsvoll ausüben. Genauso wie es für zahlreiche in der Stadt dazugehört, trotz Lockdown durch die Fußgängerzonen zu flanieren oder auch mal ein paar Stationen mit öffentlichen Verkehrsmitteln an ein stadtnahes Ausflugsziel zu fahren, natürlich mit den notwendigen Schutzmaßnahmen. Das sind genauso legitime Möglichkeiten, etwas Ausgleich zur Enge der eigenen Welt in der Pandemie zu finden – und nein, in der U-Bahn muss man sich im Regelfall nicht vor Corona-Attentätern fürchten, die einem ohne Maske ins Gesicht husten.
Natürlich kann und sollte man Kontakte und Ansteckungsquellen meiden, so gut wie das in der jeweiligen Arbeits- und Lebenssituation möglich ist. Etwas Freiraum, Luft, vielleicht sogar Sonne brauchen die meisten Menschen, um auch seelisch im Lot zu bleiben. Das Verständnis und der gegenseitige Respekt für einen anderen Lebensstil, ein anderes Freizeitverhalten als das eigene könnte zumindest die unnötigen Streitereien in der Pandemie vermeiden helfen. Die grundsätzlichen Konfliktfragen bleiben uns ohnehin.
„In der U-Bahn muss man sich nicht vor Corona-Attentätern fürchten, die einem ohne Maske ins Gesicht husten.“
Julia Ortner
julia.ortner@vn.at
Julia Ortner ist Journalistin mit Vorarlberger Wurzeln, lebt in Wien und arbeitet für den ORF-Report.
Kommentar