Langer Atem
Corona-Müdigkeit hat das Zeug zum Wort des noch jungen Jahres 2021. Sowohl Bewegungsprofile als auch persönliche Beobachtungen zeigen, dass in der Bevölkerung die Disziplin von Abstandhalten und Kontaktverminderung stark geschwunden ist. Mit ihr sinken ebenso messbar und fühlbar die Vertrauenswerte in die Politik. Der Boulevard vermeldet gar, dass bereits eine Mehrheit mit der Regierung unzufrieden ist. Angesichts der stagnierenden Infektionszahlen sind das keine guten Nachrichten.
Breitere Allianz
Ausweg suchte die Bundesregierung in einer neuen Kommunikationsstrategie. Das virologische Quartett wurde abgelöst von einer neuen Allianz von Wissenschaft, Opposition und Regierung sowie Bund und Ländern. Virologen und Landeshauptleute stehen nun neben dem Bundeskanzler und verkünden die gemeinsame Botschaft: Die Pandemie ist noch nicht vorbei. Die Beratungen mit den Sozialpartnern etwa zu den Regeln zum Homeoffice haben an Fahrt aufgenommen. Selbst der Wiener Bürgermeister entzog sich nicht dem neuen Schulterschluss. Und Kanzler Kurz und Oppositionsführerin Pamela Rendi-Wagner sollen nun öfters mit einander telefonieren. Das sind gute Nachrichten in einer Pandemie. Vernunft siegt zwar nicht immer und bei allen, aber immer öfter bei manchen über Parteitaktik.
SP-Chefin Rendi-Wagner ist ohnehin die Polit-Aufsteigerin des noch jungen Jahres 2021. Bei einer aktuellen Umfrage von Unique Research überholt sie die bisherigen Polit-Lieblinge Sebastian Kurz und Rudolf Anschober bei der Frage, wer in den letzten 14 Tage positiv aufgefallen ist. Der Kanzler hingegen hat hinter Norbert Hofer Platz 2 beim Negativeindruck erobert. Rendi-Wagner tritt aus ihrem eigenen Schatten bzw. jenem ihrer Partei. Ihre Rolle als Gesundheitsexpertin, ihr authentisches Auftreten als Ärztin, ihr Festhalten an einer Mischung aus konstruktiver Kritik und Mittragen von Maßnahmen inklusive differenzierter Erklärungen dazu wird erstmals von der Bevölkerung belohnt. Der lange Atem hat sich ausgezahlt. Nun gilt es, diese Glaubwürdigkeit auf andere Themen zu übertragen. So könnte 2021 das Comeback-Jahr der SPÖ werden.
Andere Fragen entscheiden, ob es ebenso gelingt die Demokratie zu stärken: Schlägt Kurz die Türe zu Opposition, Arbeiterkammer, Bundesländern und Wissenschaft nach der Pandemie wieder zu? Gelingt es dauerhaft trotz steigender Polarisierung und Emotionalisierung in der Politik mit abwägender Rhetorik erfolgreich zu sein? Werden wir in unserem nationalen Schneckenhaus wieder den Ausgang finden? Antworten darauf müssen alle Parteien gemeinsam mit der Bevölkerung geben.
„SP-Chefin Rendi-Wagner überholt die bisherigen Polit-Lieblinge Sebastian Kurz und Rudolf Anschober.“
Kathrin Stainer-Hämmerle
kathrin.stainer-haemmerle@vn.at
FH-Prof. Kathrin Stainer-Hämmerle, eine gebürtige Lustenauerin, lehrt Politikwissenschaften an der FH Kärnten.
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