Sind Sie schon sattspaziert?
Alle sind müde. Der Jänner, das Virus, der verlängerte Lockdown, die schlechten Nachrichten über neue, gefährliche Virus-Mutationen und Lieferverzögerungen beim Impfstoff. Es wird wohl alles länger dauern, als wir gedacht haben, wir brauchen alle noch mehr Geduld. Und es wird täglich härter, diese Geduld aufzubringen.
Seit Beginn des ersten Lockdowns, den alle noch richtig ernst genommen haben, ist Spaziergehen das große heiße Ding. Viel anderes durfte man ja nicht, und es tat so gut: Bewegung, Frustfress-Kalorienverbrennung, Gratis-Fitness, frische Luft, die einem das Hirn ein bisschen freiwehte: Spazierengehen macht klar im Kopf, ordnet das Gedankenwirrwarr und hilft so offenbar auch gegen Depressionen. Es kostet nichts, man braucht außer einem ordentlichen Paar Schuhe keine Ausrüstung, muss dafür nicht lang anfahren oder an einem Lift anstehen. Jedenfalls gehen seit Corona alle spazieren, reden auch gern darüber, stellen Fotos von den durchwanderten Landschaften und Innenstädten auf Instagram. Das Gehen wurde so trendy, dass man hier in Wien als stinkfauler, innerlich verwahrloster Ranzbatzen galt, wenn man bis zum Ende des Sommers nicht mindestens Dreiviertel der Wiener Stadtwanderwege absolviert hatte. Aber sind die Menschen nicht nur des Lockdowns müde, sondern auch des Spazierengehens. Schon beschweren sich erste Kolumnisten in ihren Texten über die Langeweile des stundenlangen Fuß-vor-Fuß-Setzens in den immergleichen Parks ihrer Umgebung, und sogleich wittert Twitter einen Trend und massenhaft beschweren sich dort sofort Leute über das ewige Gehen. Oje.
„Spazierengehen macht klar im Kopf, ordnet das Gedankenwirrwarr und hilft so offenbar auch gegen Depressionen.“
Einerseits habe ich Verständnis für Leute, die sich sattspaziert haben, die keine Lust mehr haben, einfach nur rauszugehen und sonst nichts: ohne Ziel, ohne Belohnung, ohne Gesellschaft. Andererseits gehöre ich zu denen, die sich das nicht mehr aussuchen können, weil sie bei einem anderen weltweiten Lockdown-Trend mitgemacht und sich einen Hund zugelegt haben. Ich habs ja schon öfter mal erwähnt hier. Und damals war noch nicht klar, wie lange das alles dauern würde, aber jetzt haben wir den Hund schon fast elf Monate und es ist immer noch Lockdown, oder schon wieder. Jedenfalls ist Spazierengehen für mich nicht mehr fakultativ, sondern obligatorisch, aber letztlich habe ich mich ja auch deshalb für den Hund entschieden, weil ich es so gerne tue. Immer noch, auch im dritten Lockdown, wenngleich der Hund vom Gehen eine etwas andere Auffassung als ich und kein Verständnis dafür hat, warum ich nicht ebenfalls überall herumschnüffeln muss. Also: Gehen geht immer noch. Dafür habe ich allmählich das Kochen satt: Was bin ich des Kochens müde… aber so.
Doris Knecht ist Kolumnistin und Schriftstellerin. Sie lebt mit ihrer Familie in Wien und im Waldviertel.
Kommentar