An die Grenze nur herangeschrammt

Auch Intensivmediziner List fürchtet Mutationen.
Feldkirch Die Zahlen sind erschreckend: Seit Beginn der Pandemie starben in Vorarlberg 250 Personen am oder mit dem Coronavirus. Insgesamt mussten bislang 1390 Covid-19-Patienten in den Krankenhäusern des Landes behandelt werden. Für Oberarzt Wolfgang List, der die Intensivbetten aller Spitäler koordiniert, kam das Ausmaß der Krise nicht überraschend. „In dem Moment, als ich in den Nachrichten gehört habe, dass eine Ansteckung schon vor Ausbruch der Krankheit bestätigt ist, war mir klar, dass das nicht gutgehen kann und sich das Virus nicht wird stoppen lassen“, erzählt er im VN-Gespräch. Trotzdem sei Vorarlberg bislang noch gut davongekommen, erinnert er an andere Länder, in denen das Gesundheitssystem zusammengebrochen ist und damit das große Sterben begann. „Wir sind glücklicherweise nur an die Grenze herangeschrammt“, verdeutlicht Wolfgang List.
Tag und Nacht
Das Coronavirus beschäftigt ihn dennoch buchstäblich Tag und Nacht. Jeden Abend, bevor er ins Bett geht, sieht er sich die Belegungszahlen in den Krankenhäusern an. Das Gleiche trägt sich nach dem Aufstehen zu. Da will Wolfgang List wissen, was sich über Nacht getan hat. Seine Gedanken gelten auch den Mutationen, die wie ein Damoklesschwert über den Köpfen aller hängen. Er spricht von einem Wettlauf zwischen Impfen und Mutationen. „Wenn man sieht, wie die Impferei perspektivisch vorangeht, befürchte ich, dass wir etwas hinten nachrennen werden und und nochmals ein ordentlicher Infektionsschwung drohen kann“, vermutet List mit Blick in andere coronagebeutelte Länder. Es müssten sich alle bewusst sein, dass noch keine Entwarnung gegeben werden könne. Die Impfbereitschaft sieht er positiv: „Ich glaube schon, dass die Impfung einen Weg heraus aufzeigt, und wenn die Bevölkerung bereit ist, auf diesem Weg mitzugehen, ist es eine Perspektive.“ So lange heiße es vorsichtig sein.
Helle und dunkle Stunden
Gleichwohl kann der Arzt der Pandemie auch schöne Erlebnisse abringen. Die Intensivmedizin habe viel Wertschätzung bekommen. „Das tut allen gut, die dort arbeiten.“ Wolfgang List denkt an Patientenschicksale, die bei aller Tragik letztlich doch aufzeigten, dass es sich lohnt, viel Zeit in die Betreuung und Behandlung zu investieren. Das sind die hellen Stunden. Ebenso kennt er die Kehrseite der Medaille, die selbst der besten Medizin immer wieder Grenzen aufzeigt und sie die Machtlosigkeit der Erkrankung gegenüber spüren lässt. „Man sieht einen Patienten entgleiten und es fehlen einem die Mittel, das aufzuhalten“, schildert Wolfgang List die dunklen Stunden, die sein Berufsstand mitunter ebenso mit sich bringt.
Der erfahrene Intensivmediziner kann mitfühlen, aber auch abschalten, wenn sich die Türen des Landeskrankenhauses Feldkirch hinter ihm schließen. Zuhause wartet nämlich ein junger Hund, der an die frische Luft muss. „Er versprüht Lebenslust und ist ein guter Ausgleich zur Arbeit im Spital, denn er bringt einen schnell auf andere Gedanken.“ Wolfgang List ist die Freude anzuhören. VN-MM
„Man sieht einen Patienten entgleiten und hat keine Mittel, das aufzuhalten.“