„Unser Kind wird ein Gsiberger“

Brasilianerin ist der Liebe wegen nach Vorarlberg gezogen.
GÖTZIS Es gibt Tage, an denen Raquel Pinheiro-Karg ihr Dasein als Couch-Potato fristet. Heute ist so ein Tag. Coronabedingt, dank des Winterwetters und deswegen: Sie tippt mit dem Finger auf ihren kugelrunden Bauch. Die 33-jährige Brasilianerin ist hochschwanger und bereits im Mutterschutz. Trainieren im Fitnessstudio, Rad fahren oder ins Kino gehen – ihre bevorzugten Aktivitäten in „normalen Zeiten“ – sind momentan nicht möglich. So nimmt sie es gemütlich in der behaglichen Wohnung in Götzis, als Couch-Potato eben.
Vorsichtig lässt sie sich am Küchentisch nieder. Ehemann Manuel Pinheiro-Karg serviert Kaffee und Linzertorte und gesellt sich dazu.
Mastertitel in Geschichte
Nach der zweiten Tasse Kaffee beginnt Raquel aus ihrem Leben zu erzählen. Sie erinnert sich an ihre Kindheit und Jugend in Niterói, jene 500.000-Einwohnerstadt bei Rio de Janeiro, in der sie am 4. Juli 1987 zur Welt gekommen und mit Vater, Mutter sowie einem zwei Jahre älteren Bruder aufgewachsen ist. In Niterói maturierte sie und studierte Geschichte. Das Studium schloss sie mit dem Mastertitel ab. Zunächst unterrichtete sie als Privatlehrerin, später wechselte sie an eine Schule.
Die Brasilianerin war 28 Jahre alt, als sie nach Vorarlberg zog. Dreieinhalb Jahre zuvor war sie bei einer Hochzeitsfeier in Niterói einem Mann aus Rankweil begegnet, verliebte sich in ihn und er sich in sie. Nachdem die Fernbeziehung zu mühsam wurde, entschied sie sich, ihm nach Rankweil zu folgen.
Obwohl sie bereits in Brasilien intensiv Deutsch gelernt hatte und der Sprache wohl mächtig war, habe sie in der ersten Zeit in Vorarlberg kaum etwas verstanden: „Wegen der Dialekte.“ Nach und nach gewöhnte sie sich an die unterschiedlichen Sprechweisen in dem kleinen Land. „Dabei hat mir Birgit geholfen“, betont sie. Birgit ist eine Freundin, mit der Raquel bei ihrem ersten Arbeitgeber, dem Hohenemser Schokoladenhersteller Fenkart, zusammengearbeitet hat. Birgit ist ihr auch in anderen Sachen behilflich gewesen, etwa bei der Identifizierung von Behördendokumententexten oder bei der Wohnungssuche nach der Trennung von ihrem Rankweiler Partner. Die Ehe wurde nach 13 Monaten aufgelöst. „Damals fragte ich mich, was jetzt? Soll ich zurückkehren nach Brasilien? Soll ich hierbleiben?“ Raquel entschied sich für Letzteres. In einer WG in Dornbirn fand sie eine neue Bleibe.
2019 übersiedelte sie nach Bregenz in eine Wohnung in der Nähe des Hotels Ibis. Dort hatte sie ihren neuen Job als Rezeptionistin angetreten. Die studierte Historikerin, die neben Portugiesisch auch Englisch, Französisch und Deutsch spricht, lernte gern und schnell: „In vier Monaten fühlte ich mich sicher im Umgang mit den Gästen, die ja von überall herkommen.“
Den Heiratsantrag machte er mir bei einer Wanderung auf das Hochjoch.
Raquel Pinheiro-Karg, Historikerin, Hotelrezeptionistin
Ihren zweiten Ehemann Manuel Karg hat sie über eine Dating-App gefunden. Das erste persönliche Kennenlernen wurde an einem Oktobertag im Café Sito in Dornbirn vereinbart. „Wir trafen uns um halb sechs Uhr abends und gingen um halb eins Uhr in der Früh nach Hause“, erinnert sich Raquel. Im März 2020 – der erste Lockdown hatte soeben begonnen – zog das Paar zusammen in die Wohnung in Götzis. „Hier ist im ersten Lockdown unser Wunschkind entstanden“, verrät Raquel. Es kommt Anfang März zur Welt. Ob es ein Mädchen oder ein Junge ist, wollen die Eltern erst bei der Geburt wissen.
Ein Ehepaar sind Raquel und Manuel seit 11. Jänner dieses Jahres. „Den Heiratsantrag machte er mir am 27. August 2020, bei einer Wanderung auf das Hochjoch“, erzählt Raquel. „Als wir oben auf dem Berg angekommen sind, kniete Manuel nieder, reichte mir einen Ring und eine Karte. Darauf stand auf Portugiesisch die Frage, ob ich seine Frau werden will.“ Sie wollte. Die Trauung auf dem Standesamt in Götzis fand wegen Corona nur mit dem Brautpaar, zwei Trauzeugen und dem Standesbeamten statt. Seitdem tragen Raquel und Manuel den Nachnamen Pinheiro-Karg.
Hin und wieder Heimweh
Mittlerweile hat sich Raquel gut eingelebt und sich an Mentalität und Lebensstil der Vorarlberger angepasst. „Und mein Leben verläuft jetzt auf Deutsch“, sagt sie. „Aber manchmal vermisse ich es schon, in meiner Muttersprache Portugiesisch zu sprechen.“ Heimweh? „Ja, schon, hin und wieder“, gibt sie zu. „Am meisten fehlen mir meine Familie und Freunde in Niterói.“ Dennoch hat sie entschieden, dazubleiben, „denn unser Kind soll hier aufwachsen. Es wird Österreicher.“ „Ein Gsiberger wird es!“ wirft Manuel ein. Da lacht die werdende Mutter und streichelt liebevoll ihren kugelrunden Bauch.