Gelegenheit macht Geimpfte

Wer nach dem gescheiterten Ostererlass, der Aufhebung mehrerer Verordnungen, dem Beginn der zweiten Corona-Welle, den mäßig besuchten Massentests oder den verschobenen Screenings in den Schulen noch auf die Idee käme, irgendwelche Ansprüche an die heimische Gesundheitspolitik zu stellen, hätte sich vielleicht erwartet, dass es während der Sommermonate des letzten Jahres intensive Vorbereitungen auf eine mögliche Impfung gegeben hätte. Ein von Experten erstellter und von der Politik befolgter Impfplan wäre da wünschenswert gewesen, oder ein funktionierender elektronischer Impfpass. Der hätte auch eine korrekte Zählung der Geimpften ermöglicht.
Dass das alles entweder nicht existiert oder nicht funktioniert, ist leider wenig überraschend. Es reiht sich nahtlos in die Erfolgsliste österreichischer Politik ein, gleich hinter Postenschacher, Nachrichtendienstaffären und Bankskandalen. Hätte man die Impfanmeldungen schon gesammelt bevor man zu impfen begann, wären nur noch Listen abzuarbeiten gewesen, an denen sich niemand vorbeischummeln könnte. Dass es keine nachvollziehbare Warteliste gibt, führt nun dazu, dass mittlerweile schon niederösterreichische Apothekerkammerpräsidentenfreundinnen nach Vorarlberg zum Impfen fahren. In einer Situation, in der sich viele immunisieren lassen wollen, aber nur wenige die Möglichkeit erhalten, wächst einerseits der Impfneid, andererseits nimmt auch der eine oder andere eine Gelegenheit wahr, die moralisch betrachtet keine hätte sein dürfen. Da wird einer, der vielleicht nur ab und zu die Oma besucht, zum pflegenden Angehörigen und jemand der hie und da in der Apotheke des Lebensgefährten aushilft, wird plötzlich zum Gesundheitspersonal gezählt. All das wäre durch eine funktionierende Verwaltung zu verhindern gewesen. Das österreichische Gesundheitsministerium kämpft derzeit aber wieder einmal mit seinen eigenen Zahlen. Man erfasst die Infektionen jetzt neu, niemand weiß aber wie. Am Mittwoch sind die Fallzahlen daher um 4369 gestiegen – innerhalb einer Stunde. Der Statistiker Erich Neuwirth, der seit Monaten versucht, den Datendschungel rund um Corona aufzubereiten, beklagt auf seiner Webseite: „Derzeit gibt es anscheinend weder eine detaillierte Erklärung, was da geändert wurde, noch eine Zeitreihe der laborbestätigten Fälle, in der diese Änderungen rückwirkend dargestellt wäre.“ Immer mehr beschleicht einen das Gefühl, dass das Behördenversagen im Umgang mit der Pandemie erst mit dieser enden wird.
Moritz Moser ist Journalist in und aus Feldkirch. Twitter: @moser_at