Kassa will Grippeimpfung organisieren

ÖGK-Obmann Huss ärgert sich über Grippeimpfchaos und Coronaimpfföderalismus.
Bregenz Andreas Huss sitzt für die Arbeitnehmer an der Spitze der österreichischen Gesundheitskassa ÖGK. Im VN-Interview spricht er über die Kassenfinanzen zu Coronazeiten, über den Rückgang bei Arztbesuchen und Krankenständen und über Heizöl.
Wie geht es der ÖGK finanziell?
Huss Die Situation hat sich mit Jahresende etwas entspannt. Die Einnahmen sind rund 400 Millionen Euro geringer als zu Jahresbeginn prognostiziert, aber die Ausgaben sind niedriger. Das hat zwei Gründe: Es gehen viel weniger Menschen zum Arzt, weshalb wir weniger Geld für Ärztehonorare ausgeben. Und die Spitalsfinanzierung hängt von den Beitragseinnahmen ab. Da die Einnahmen sinken, müssen wir weniger an die Länder überweisen.
Wie groß wird das Minus?
Huss Derzeit pendelt es zwischen einem zwei- und dreistelligen Millionenbetrag, am 15. März wissen wir es. Mir machen jedoch die kommenden Jahre Sorgen. Wenn der Lockdown vorbei ist, werden die Arztbesuche wieder zunehmen, allerdings bleibt der Einnahmenbereich angespannt.
Können Sie den Rückgang der Arztbesuche beziffern?
Huss Bei den Hausärzten ist die Patientenzahl weniger zurückgegangen, aber der ganze Vorsorgebereich ist fast komplett eingebrochen. Es betrifft also mehr die Fachärzte. In manchen Monaten hatten wir einen Einbruch von bis zu 40 Prozent. Im Jahresschnitt liegen wir bei 20 bis 25 Prozent.
Sind auch die Krankenstände zurückgegangen?
Huss Ja, massiv. Es gab Monate mit bis zu minus 40 Prozent. Menschen sind zwar nicht seltener krank, aber wer im Homeoffice oder in Kurzarbeit ist, meldet sich weniger krank. Außerdem waren im ersten Lockdown die Kur- und Rehaeinrichtungen geschlossen, die einen Teil der Krankenstände ausmachen.
Mit welchen Ausfällen rechnen Sie bei den Beitragsstundungen?
Huss Die Außenstände der Sozialversicherungen betragen 1,7 Milliarden Euro. Der Höchststand lag bei 2,2 Milliarden. 19 Prozent, also rund 300 Millionen, betreffen die ÖGK. Laut Kreditschützern werden durch Stundungen die Insolvenzen nur verschleppt. Ich hoffe, sie irren sich. Wenn alles ausfällt, fehlen uns 150 Millionen Euro. Denn die Hälfte erhalten wir aus dem Insolvenzausgleichfonds. Die Betriebe haben bis 31. März Zeit, das Geld zurückzuzahlen. Danach gibt es die Möglichkeit einer Ratenzahlung zu einem Zinssatz von 1,38 Prozent.
Sie haben die Zusammenlegung der Kassen scharf kritisiert. Tun Sie das immer noch?
Huss Ich habe mit der Zusammenlegung leben gelernt. Wir müssen das Beste daraus machen. Ich konnte mir in der Landesstelle Vorarlberg Nachteile anhören. Ein Beispiel: Wenn Heizöl bestellt werden musste, hat das der zuständige Mitarbeiter gemacht. Jetzt muss er in Wien anrufen. Dort wird abgecheckt, ob auch eine andere Landesstelle Heizöl braucht. Wenn Vorarlberg in drei Wochen Bescheid bekommt, ist es gut gelaufen. Bei Vertragsverhandlungen und Personalentscheidungen ist es schwieriger. Man ist in Vorarlberg einfach nicht mehr der Herr im eigenen Haus. Aber in manchen Bereichen hat die Zusammenlegung Vorteile.
In welchen?
Huss In der Psychotherapie haben wir eine österreichweit einheitliche, gute Versorgung beschlossen. Dasselbe gilt für die Ergotherapie und die Logopädie. Und wir haben mit den Orthopädietechnikern einen österreichweit einheitlichen Vertrag geschlossen. Der große Kritikpunkt, dass der Arbeitnehmer nicht mehr Herr der eigenen Versicherung ist, der bleibt. Das werden wir nie akzeptieren.
Die Grippeimpfung ist nicht österreichweit geregelt.
Huss Das war im Herbst relativ chaotisch. In drei Bundesländern haben wir schon immer die Grippeimpfung organisiert, indem wir mit Ärzten Verträge abgeschlossen haben, die auf unsere Kosten impften. Dann ist Wien dazugekommen. Stadtrat Peter Hacker hat 400.000 Impfdosen bestellt und nicht gewusst, wie er sie verimpft. Ein ähnliches Modell haben wir für Niederösterreich gewählt. In vier Bundesländern, darunter Vorarlberg, gab es kein ÖGK-Impfprogramm. Dieses Chaos möchte ich heuer nicht mehr haben.
Gibt es schon Verhandlungen?
Huss Die Idee lautet, dass wir mit den Ärztekammern verhandeln und das Honorar übernehmen. Die Bundesländer sagen, wie viel Impfstoff sie kaufen. Kommende Woche gibt es ein bundesweites Abstimmungsgespräch. Grippeimpfstoff kann man nicht auf Knopfdruck herstellen. Die Pharmaindustrie muss im Februar wissen, wie viel Impfstoff im Oktober benötigt wird.
Was sagt Vorarlberg dazu?
Huss Es wäre eigenartig, wenn ein Bundesland dieses Angebot nicht annimmt. Wien hat wieder 400.000 Impfdosen bestellt, auch Niederösterreich und Burgenland haben schon bestellt.
Und bei der Coronaimpfung?
Huss Wir helfen mit, wenn es gewünscht ist, wie in Kärnten. Wichtig ist, den vorhandenen Impfstoff fair zu verteilen. Aber ich bin nicht glücklich, dass man die Geschichte nicht zentral organisiert. Dänemark zeigt, wie gut es zentral funktioniert. Der Föderalismus ist damit überfordert. Das ist wie in der ÖGK: Es gibt Dinge, die man besser in den Bundesländern regelt und Dinge, die in der Zentrale besser organisiert sind. In Österreich hat man verlernt, das zu unterscheiden.