Stimmungspolitik
Wir haben uns alle nach Lockerungen gesehnt. Endlich wieder in die Schule, einkaufen, zum Friseur. Doch der Grund, warum uns dies ab nächster Woche wieder erlaubt ist, sollte Sorgen machen. Mit der Aussage „Die Stimmung kippt“ hat der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter wohl Recht. Aber als Grundlage für politische Entscheidungen taugt diese Einschätzung trotzdem nicht. Denn Stimmungen – selbst jene von Mehrheiten – dürfen nicht mit jenen Kennzahlen verwechselt werden, die den Weg zu einer erfolgreichen Bekämpfung einer Pandemie weisen.
Selbstverständlich sind Politiker von Stimmungen abhängig. Schließlich wollen sie wiedergewählt werden. Da ist es oft verlockend, manche Stimmung zu nützen oder gar zu verstärken. So wie die FPÖ sich als Sammelbecken aller Unzufriedenen und Freiheitsliebenden sieht und doch nur hofft, den Ibiza- und andere Skandale damit vergessen zu machen. So wie sogar die beiden Regierungsparteien ihre Koalitionsstimmung gefährden, wenn sie bei nächtlichen Abschiebungen die gesetzliche Grundlage gegensätzlich interpretieren. Manchmal ist der eigene Wähler(wille) dann doch wichtiger.
Doch die Regierung spielt ein doppeltes Spiel mit uns. Für Bundeskanzler Kurz sind die Lockerungen „keine Entwarnung“. Wenn wir nicht brav sind, werden sie wieder verschärft. Dennoch will er der Bevölkerung das Gefühl geben, sie hätten es in der Hand. Oder gleich vorbauen, damit wir den Schuldigen nicht in der Politik suchen, sondern unter uns. Gleichzeitig kündigt Innenminister Nehammer mehr Kontrollen und höhere Strafen an. Das Vertrauensverhältnis zwischen Politik und Volk scheint in den letzten Wochen auf beiden Seiten gelitten zu haben.
Gesundheitsminister Anschober will „Perspektiven schaffen und Sicherheit geben“. Gleichzeitig schweigt er zum Abänderungsbedarf von Impfplänen oder den dringend erforderlichen neuen Contact-Tracing-Strategien. Dass Hermann Schützenhöfer als Vertreter der Landeshauptleute und der oppositionelle Wiener Bürgermeister Ludwig an seiner Seite stehen, verstärkt die Botschaft und den Appell an unsere Vernunft, erhöht aber nicht unsere Einsicht in Notwendigkeit und Auswirkung der uns immer noch auferlegten Maßnahmen.
Die Mehrheit fügt sich also noch einmal, trägt nun FFP2-Masken, hält zwei Meter Abstand, lässt sich nun doch Eintrittstesten und meldet sich zur irgendwann stattfindenden Impfung an. Sie trägt es mit Fassung, dass sich manche Entscheidungs- und „Leistungs“träger vorgedrängelt haben und hofft auf mehr Vorbildwirkung bei den anderen. Nein, die Stimmung ist noch nicht gekippt. Aber mehr Konsequenz bei jenen, die die Regeln unterlaufen, würde die Moral heben. Und klare Ziele statt wochenlanges Hinhalten ebenso.
„Selbstverständlich sind Politiker von Stimmungen abhängig. Schließlich wollen sie wiedergewählt werden.“
Kathrin Stainer-Hämmerle
kathrin.stainer-haemmerle@vn.at
FH-Prof. Kathrin Stainer-Hämmerle, eine gebürtige Lustenauerin, lehrt Politikwissenschaften an der FH Kärnten.
Kommentar