Einspruch
Es wäre zu schön gewesen. Trump ist weg und der Spuk aus Fake News und Verschwörungstheorien, von ihm nachhaltig befördert, auch. Doch der Geist ist aus der Flasche. Trump hat nach wie vor in den USA Millionen Anhänger, und krude Verschwörungstheorien haben sich dank Internet längst um den Erdball verbreitet. Die Demos vom letzten und auch an diesem Wochenende zeigen: Die Saat ist aufgegangen. Diesmal waren im wahrsten Sinn des Wortes Corona-Narren unterwegs. Als Nonnen oder Krankenschwestern verkleidete „Spaziergänger“ mit Schildern gegen Test- oder Impfzwang. Das mit den Nonnen ist genauso eine Geschmacklosigkeit der Sonderklasse wie der an Auschwitz angelehnte Slogan „Impfen macht frei“, da braucht man gar kein gläubiger Katholik oder Jude zu sein. Aber was ist schon geschmackvoll an Demonstrationen, bei denen bewusst Gesetze gebrochen und die Polizei gezielt provoziert wird, nicht zuletzt von mitdemonstrierenden Abgeordneten einer Partei, die immer mehr versucht, aus der Pandemie politisches Kleingeld zu lukrieren, um aus dem Ibiza-Sumpf herauszufinden.
Dass Identitäre, aus Deutschland eingereiste Neonazis und Hooligans mit Latten die Parlamentsrampe (erfolglos) zu erstürmen drohten, ist beinahe untergegangen. Aber die Parallelen zur Erstürmung des Capitols sind evident. Der Klubobmann der FPÖ verteidigt in einer Pressekonferenz mit der Initiatorin der Bewegung „Österreich ist frei“ die laufenden Gesetzesbrüche der Demonstranten. Auch die Verwendung des berühmten Figl-Zitats „Österreich ist frei“ (Unterzeichnung des Staatsvertrags 1955, Rede auf dem Belvedere-Balkon) ist einfach nur dumm.
Wir müssen uns damit auseinandersetzen, wie wir den Verschwörungstheoretikern begegnen, die ja nicht alle Neonazis sind. Dazu gibt es jetzt eine „Impfung gegen unsinnige Argumente“, von der Grazer Autorin Ingrid Brodnig („Einspruch“, Verlag Brandstätter). Sie hat kein Wundermittel parat, aber strategische Empfehlungen. Weil Leugner gegen Faktenchecks immun sind, könnte man andere rhetorische Muster ausprobieren, etwa zu fragen: „Du erklärst allen Ernstes, dass hinter dem Coronavirus etwas Größeres stecken würde. Hast du dafür einen Beleg?“ Es sei zwar schwierig, in Diskussionen mit Impfgegnern gelassen zu bleiben, aber Beleidigung oder Spott hätten eine „toxische Wirkung“. Wenn man Andersdenkende erreichen wolle, soll man verhärtete Fronten vermeiden und die Gegner nicht etwa als „Covididioten“ bezeichnen, sondern ihnen die Möglichkeit geben, das Gesicht zu wahren. So besehen muss ich mich auch etwas zurücknehmen.
Aber wie geht man mit rhetorisch geschulten Aggressiven um? In Facebook kann es sinnvoll sein, Kollateralschäden zu vermeiden, indem man Mitlesende vor Verschwörungsmythen warnt (Brodnig). Ein unfairer Trick der Verschwörer bestehe darin, sich auf keine Debatte einzulassen. Sie bringen einen Mythos, man widerlegt diesen, und es kommt ein neuer.
Diese Taktik könne man benennen und so die Facebook-Freunde beeindrucken. Im neuen „Profil“ wendet sich Brodnig übrigens an jene, die die Impfung fürchten. Sie verweist auf klare Fakten: Vor der Masern-Impfung sind jährlich 2,6 Millionen Menschen an Masern gestorben. Ohne Pockenimpfung würde heute noch alle sechs Sekunden ein Mensch der Krankheit zum Opfer fallen. Vielleicht beindruckt wenigstens das auch heute. Wenn denn der Impfstoff endlich da ist.
„Wir müssen uns damit auseinandersetzen, wie wir den Verschwörungstheoretikern begegnen, die ja nicht alle Neonazis sind.“
Wolfgang
Burtscher
wolfgang.burtscher@vn.at
Wolfgang Burtscher, Journalist und ehemaliger ORF-Landesdirektor, lebt in Feldkirch.
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