Jugend ohne Halt
Das Mobiltelefon und der Laptop sind ihnen als Tor zur Außenwelt geblieben, nicht viel mehr. Gerade Kinder und Jugendliche erleben in der Pandemie eine Jugend, wie sie sich viele von uns gar nicht vorstellen können: Isoliert, trotz Familie auf sich gestellt, kaum Bewegungsmöglichkeiten. Selbst jene Jugendlichen, die ein funktionierendes Zuhause haben, fühlen sich jetzt oft einsam und entwickeln psychische Probleme. Seit Beginn der Coronakrise gibt es gerade in den Lockdown-Phasen für viele Junge keine Struktur und keine Interaktion mit anderen, also mit Gleichaltrigen, Freundinnen, Freunden.
Dieser Zustand der Vereinzelung ist auch für Erwachsene belastend, derzeit leidet laut einer Erhebung der Universität Krems und des österreichischen Bundesverbands für Psychotherapie mehr als ein Viertel der Bevölkerung an Depressionen – doch in den prägenden Lebensphasen von Kindern und Jugendlichen spielt die Vereinsamung für deren Entwicklung eine noch weitaus größere Rolle. Gemeinsam Sport machen, feiern oder einfach nur miteinander herumhängen ist eben mehr als nur Spaß. Es bedeutet, jung und frei zu sein. Ein Gefühl, das Heranwachsende brauchen.
Achtjährige mit Depressionen
Natürlich sollten wir alle in der Pandemie verzichten, um die Risikogruppen, aber auch uns gegenseitig vor dem heimtückischen Virus zu schützen und das Gesundheitssystem nicht zu überlasten. Für die Jungen hieß das bis zu den Öffnungsschritten am Montag Distance Learning – und könnte es wohl wieder heißen, wenn die Fall-Zahlen zu stark ansteigen. Doch spätestens wenn wir nun wegen der Studie der Universität Krems und der Überlastung der Kinder- und Jugendpsychiatrie des Wiener AKH belegt wissen, dass junge Menschen besonders häufig von Depressionen oder Essstörungen betroffen sind, muss man schnell handeln. Im AKH registriert man schon deutlich mehr depressive Acht- bis Zwölfjährige.
Und auch hier wirkt vermutlich der Verstärkereffekt der Pandemie: Wer es davor schwer hatte und psychische Auffälligkeiten zeigte, hat es jetzt umso schwerer. Also muss man nun neben dem geplanten Ausbau der Psychotherapie-Plätze ärztliche Behandlungsmöglichkeiten für Kinder aufstocken, genauso wie zusätzliche psychologische Angebote im Schulbereich, raten die Fachleute.
Kinder und Jugendliche sind jetzt nicht dazu verurteilt, zur „verlorenen Generation“ zu werden, wie manche schon unheilvoll prophezeien. Junge Menschen können sich an schwierige Situationen anpassen, harte Erfahrungen verarbeiten, ohne zu einem unglücklichen Leben verdammt zu sein. Dabei kann ihnen professionelle Hilfe Halt geben. Liebe und Geduld werden die Welt nicht retten, aber den Kindern helfen, die schwere Zeit besser zu überstehen.
„Gemeinsam Sport machen, feiern oder einfach nur miteinander herumhängen ist eben mehr als nur Spaß.“
Julia Ortner
julia.ortner@vn.at
Julia Ortner ist Journalistin mit Vorarlberger Wurzeln, lebt in Wien und arbeitet für den ORF-Report.
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