„Man kann viel ins Wenig packen“

Ilse Aberer über Reduktion und Mathematik in der Kunst.
Götzis „Malerei war schon seit ich denken kann die Sprache, in der ich mich am wohlsten gefühlt habe und in der ich mich am besten ausdrücken konnte“, beschreibt Ilse Aberer den Ursprung ihrer vielseitigen künstlerischen Tätigkeit. Vervollständigen, weiterdenken, Möglichkeiten durchspielen, Formen zerlegen und zu etwas Neuem zusammenfügen, von Ausschnitten und Teilen auf ein großes Ganzes schließen – all das kommt in den Werken von Aberer häufig vor. Von der Malerei hat sie über die Jahre zu einem erweiterten Verständnis einer gegenstandsfreien Praxis gefunden, die heute Zeichnungen, Gemälde, Drucke, Papierarbeiten, Reliefs, Objekte und Plastiken umfasst. Der Prozess der Bildfindung folgt bei ihr klaren Konzepten. Ausgehend von geometrischen Grundformen – in den letzten Jahren ist vor allem das Quadrat zentral für ihre Arbeit – entwickelt sie durchdachte Konstruktionen. Dabei wendet sie oft mathematische Gesetzmäßigkeiten wie den Goldenen Schnitt oder die Fibonacci Zahlenreihe an, lässt aber auch genügend Raum für Experimentelles und Intuitives.

Kunst und Mathematik
Der Goldene Schnitt ist die Teilung einer Strecke in der Weise, dass sich der kleinere Abschnitt zum größeren Abschnitt so verhält wie der größere Abschnitt zur gesamten Strecke. Geometrische Grundformen werden bei Aberer nach diesem Prinzip geteilt, gespiegelt, verschoben und auf einer oder mehreren Ebenen neu generiert. Dabei entstehende Leerräume sind gleichbedeutend mit dem, was Gestalt geworden ist. Unzählige Möglichkeiten entstehen und zwingen immer wieder zu neuen Entscheidungen. So bleibt die Arbeit im beständigen Prozess des Werdens, immer in der Hoffnung, der „Wahrheit“ ein winziges Stückchen näher zu kommen.
„Vieles, das nach dem Prinzip des Goldenen Schnittes entstanden ist, ob in der Natur oder Baukunst, wirkt harmonisch und löst im Menschen ein Wohlgefühl aus“, erklärt die Künstlerin. Im Umgang mit den geometrischen Grundformen wie Quadrat, Kreis, Dreieck geht Aberer einen ungewöhnlichen, persönlichen Weg: Zwar liegen faktisch jedem ihrer Werke geometrische Grundformen zugrunde, aber fast nie erscheinen diese ungestört. Sie überlagern sich, erscheinen in streng begrenzten Teilen und es gibt sie in manchen Werken zwar in exakten Abmessungen, aber nur virtuell. Dann rechnet die Künstlerin bewusst oder unbewusst das Bedürfnis der Betrachter ihrer Bilder nach festen Bezugspunkten ein, zum Beispiel dann, wenn sie es dem Betrachter überlässt, nur wenige Strecken zu einem Quadrat zu ergänzen.
Es geht immer ums Ganze
„Mir geht es um Reduktion – in meiner Kunst und in meinem Leben – und darum, was wirklich essenziell und wichtig ist. Da sehe ich, dass es nicht so viel braucht“, erklärt Aberer. In den Jahren ihres Schaffens hat die Künstlerin immer mehr reduziert. Sie legt nach eigener Aussage viel Wert darauf, langsam und intensiv zu arbeiten, die Wahrnehmung zu schulen. „Ich kann nur verdichten, wenn ich mich reduziere. Man kann ganz viel in das Wenige packen. Mir geht es immer ums Ganze!“ YAS