Oder was in dem Paket drin ist
Seit zwei Tagen denke ich darüber nach, was ich diesmal in die Kolumne schreiben könnte, was nichts mit Corona und Lockdown zu tun hat, aber es scheint irgendwie unmöglich. Man kommt nicht aus, es hat derzeit alles mit dem Virus zu tun und alles ist von ihm beeinflusst: Wie man das Haus verlässt, wie man die Tür öffnet, wen man trifft, wie man arbeitet, was für eine Frisur man hat, wie man einkauft, wie man in die Schule geht, was im Fernsehen läuft, mit wem man isst und unter welchen Sicherheitsvorkehrungen. Oder was in dem Paket ist, das die Post gerade gebracht hat.
Weder Sommerkleid noch Sandalen, wie sonst zu dieser Jahreszeit, in der man eigentlich rituell ein hochsommerliches Style-Teil kauft, um den Frühling anzulocken, die Freude auf den Sommer zu erhöhen und dem Winter zu verstehen zu geben, dass er sich jetzt schleichen kann. Aber wer braucht derzeit etwas Neues zum Anziehen, es gibt ja ohnehin keine Gelegenheit, es auszuführen; außer vielleicht neue Turnschuhe, weil man die alten schon wieder durchgelatscht hat. Jedenfalls enthält das Paket nichts von alledem, sondern 25 Nasenbohrer-Tests, damit man ein besseres Gefühl hat, wenn man doch einmal jemanden trifft.
Aber meistens trifft man eh niemanden außer dem Paketboten. Abends sieht man fern, gerät in die ZiB2 und hört dann entgeistert zehn Minuten einem arroganten Tiroler zu, wie er die Zahlen aus dem Gesundheitsministerium als Fake News abtut. Danach wundert man sich nicht mehr, dass so viele Leute sich nicht mehr an die verordneten Lockdown-Regeln halten wollen, wenn ein ganzes Bundesland einfach drauf pfeift, und warum? Weil es das kann.
Es sind dort Männer am Regieren, die es gewohnt sind, ihren Willen zu bekommen und ihre eigene Wahrheit – „alles richtig gemacht“ – energisch gegen die missgünstige Mainstream-Meinung durchzusetzen. Kein Politiker muss in Tirol je zurücktreten, alle halten fest zusammen, im momentan wenig gelobten Land; jedenfalls haben der Rest von Österreich und das Ausland im Moment nicht viel Lob für Tirol parat.
Natürlich wünscht man den Tirolerinnen und Tirolern nicht, dass sie eingesperrt werden, aber man wünscht dem Rest von Österreich und Europa auch kein zweites Ischgl.
Natürlich ist man froh, dass die Geschäfte wieder öffnen dürfen, vor allem für die Ladenbesitzer, die man persönlich kennt, die Plattenhändler, die Buchhändler, und man wünscht sich für alle Wirtinnen und Wirte und für sich selbst, dass die Restaurants, die Beisln, die Kaffeehäuser auch bald wieder aufsperren können.
Aber ob es auf tirolerisch funktionieren wird? Das fragt man sich halt auch.
„Aber wer braucht derzeit etwas Neues zum Anziehen, es gibt ja ohnehin keine Gelegenheit, es auszuführen; außer vielleicht neue Turnschuhe, weil man die alten schon wieder durchgelatscht hat.“
Doris Knecht
doris.knecht@vn.at
Doris Knecht ist Kolumnistin und Schriftstellerin. Sie lebt mit ihrer Familie in Wien und im Waldviertel.
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