Das ist die Hölle von Lesbos

In griechischen Flüchtlingslagern fehlt es an allem: Wasser, Strom, Hygiene und Sicherheit.
Athen, Wien Auf der griechischen Insel Samos existiert ein Dschungel. Wer dabei an dichten Urwald denkt, der irrt. Dschungel nennen die Inselbewohner den Bereich um das Flüchtlingslager in Vathy. Das Lager ist völlig überfüllt, weshalb Tausende Menschen in der Umgebung hausen. Auf und unter Plastikplanen in mit Kartons erbauten Verschlägen, zwischen Bäumen, ohne Strom und Warmwasser, zwischen Müll und Dreck. Es stinkt fürchterlich. Mitten in dieser Hölle geschehen Wunder: Eine Frau aus dem Kongo brachte im Sommer 2019 ihr Kind auf die Welt. Dank Ärzte ohne Grenzen durfte sie zwei Tage im Krankenhaus verbringen. Dann musste sie zurück in ihren Verschlag; ohne Windeln, ohne Kleidung für das Kind. Marcus Bachmann von Ärzte ohne Grenzen war dabei. Er erinnert sich: „So sieht ein Start ins Leben für einen Menschen in der Europäischen Union aus.“
19.000 Menschen leben in den Lagern auf den griechischen Inseln Lesbos, Samos, Kios, Leros und Kos. Mit 7300 Bewohnern ist Kara Tepe auf Lesbos das größte Lager. 3500 bis 3700 Menschen leben auf Samos. Dieses Lager ist auf maximal 650 Menschen ausgelegt und ist damit am stärksten überbelegt, erzählt Marcus Bachmann. Er beschreibt, wie es dort aussieht; oder besser, wie es riecht: „Es stinkt zum Himmel, Menschen leben in Müllbergen. Die Abwasserversorgung funktioniert nicht. Fäkalien rinnen offen durch und um das Lager. Nicht einmal die Mindeststandards für Flüchtlingslager werden erfüllt.“ Dazu zählt, dass einem Menschen mindestens 7,5 Liter Wasser pro Tag zur Verfügung stehen müssen. „Bevor wir auf Samos 100.000 Liter am Tag aufbereitet haben, erhielten die Menschen 1,5 Liter pro Tag.“
Es gibt kaum warmes Wasser. „Tausende Kinder und Hunderte Kleinkinder können von ihren Elter gar nicht gebadet oder einigermaßen sauber gehalten werden“, fährt Bachmann fort. „Deshalb behandeln wir sehr viele Haut- und Durchfallerkrankungen. Das trifft vor allem Kinder und Babys.“ Es gibt zu wenig Toilettenanlagen, die auch noch kaum beleuchtet sind. „Vor allem Frauen und Kinder können sie in der Nacht nicht sicher aufsuchen. Sie hören schon mittags auf zu trinken, damit sie nachts nicht auf die Toilette müssen.“ Der Fall einer Dreijährigen, die blutend und halb bewusstlos nach einer Vergewaltigung auf einer Toilette im Lager Kara Tepe gefunden wurde, ist kein Einzelfall. „Es kommt immer wieder zu sexueller Gewalt“, sagt Bachmann.

Die Rattenplage sei extrem. „Viele werden von Ratten gebissen, vor allem Kinder und Babys.“ Das Leben in den Lagern sei lebensgefährlich. Viele Menschen verletzen sich mit Feuer, manche sterben. Kochen und heizen ist oft nur mit Feuer möglich. Auch CO2-Vergiftungen kommen vor. Bachmann möchte die psychische Gesundheit in den Fokus rücken. „Es gibt sehr viele Selbstmordversuche, auch unter Kindern. Das sind Achtjährige, Zehnjährige und Zwölfjährige, die sich selbst verletzten, so apathisch sind sie geworden.“
Die Österreichische Bundesregierung weigert sich, Kinder und Familien aus diesen Lagern zu retten. Sie baut auf Hilfe vor Ort. Das sei sinnvoll, sagt Bachmann. „Wenn sie ankommt“, ergänzt er. Aber am Ende helfe nur, das System zu beenden und zu evakuieren.