Jesus, wie kannst du nur!

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Heute lese ich im Sonntagsevangelium, dass du, Jesus einen Aussätzigen geheilt hast. Auf den ersten Blick scheint mir das nicht sehr spannend zu sein, denn ich zweifle nicht daran, dass du diese Fähigkeit und Vollmacht hattest, und die Aussätzigen sind, Gott sei Dank, weit weg!
Berührung verboten
Doch auf den zweiten Blick beginne ich zu staunen, ja bin sogar etwas verwirrt. Da lese ich doch tatsächlich, dass du Jesus, den Aussätzigen nicht nur ganz nah an dich heran gelassen, sondern in sogar berührt hast, bevor du ihn heiltest. Durch die leidvolle Geschichte der Covid-Pandemie bin ich da hellhörig geworden: Wie konntest du einen solchen Kranken näher an dich heran lassen als einen Baby-elefanten weit, wie der vorgeschriebene Abstand festgelegt ist? Auch damals gab es ja solche Regeln: Der Kranke musste schon aus der Ferne rufen: Aussätzig, aussätzig! Dich nicht daran zu halten, war nicht nur gegen jedes Gesetz, sondern darüber hinaus äußerst gefährlich! Wir wissen, das heute besonders gut: Händeschütteln verboten!
Aber nicht genug damit, jetzt kommt noch die Spitze: Du hast ihn sogar berührt! Hast du denn nicht gewusst, dass man sich dadurch selbst unrein macht?
Darstellung in der Kunst
Da fällt mir ein, dass ich diese Szene in einem alten Buch abgebildet gesehen habe, im Egbert Codex: Tatsächlich, da bist du zu sehen, deine Apostel, allen voran Petrus, der eine abweisende Handbewegung macht, und euch gegenüber der Aussätzige. Doch auf dem Bild läuft alles ganz brav ab: Du hebst zwar segnend deine Hand, achtest aber auf einen gewissen Abstand und hütest dich wohl davor, den Aussätzigen zu berühren. Hat der Künstler nicht den Mut gehabt, dein Tun so darzustellen, wie es wirklich war? Also Jesus, wie konntest du so etwas tun, sogar vor den Augen deiner Jünger! Damit hast du ihnen doch ein Beispiel gegeben, ich muss mich zurückhalten, um nicht zu sagen, ein schlechtes Beispiel!
Warum das alles?
Jetzt, nachdem ich meinen Gefühlen Ausdruck verliehen habe, möchte ich aber dich zu Wort kommen und dich und dein Tun auf mich wirken lassen. Warum hast du so gehandelt? Du hättest den Aussätzigen ja auch aus der Ferne heilen können, wie du es bei anderer Gelegenheit getan hast! Das wäre ungefährlicher und gesetzestreuer gewesen!
Offenbar ist es dir nicht nur darum gegangen, einen Kranken zu heilen, sondern auch darum, ihm wirklich, auch körperlich nahe sein. Du wolltest ihm in die Augen schauen, du wolltest ihn im wahrsten Sinn des Wortes berühren und dich von seiner Not berühren lassen. Es ging dir um tiefe, persönliche Begegnung! Die hat der Aussätzige sicher nie wieder vergessen! Mehr noch: du wolltest offenbar eine richtige Schicksalsgemeinschaft mit ihm eingehen, indem du dich durch die Berührung ein Stück weit zum Teilhaber an seinem Leiden gemacht hast. Ist das vielleicht überhaupt das Hauptziel deines Wirkens, deines Kommens auf diese Erde: unser Leben zu teilen, mit uns unterwegs zu sein in den Höhen und Tiefen unseres Daseins, dich von uns im wahrsten Sinn des Wortes berühren zu lassen und dann uns zu berühren, sodass wir ganzheitlich, mit allen Sinnen spüren: Du bist da, du stehst bei uns, du verstehst uns, und du trägst mit uns? Ist dir das vielleicht sogar noch wichtiger als körperliche Heilung?
Jesus, berühre mich!
Jesus, wenn das so ist, dann betrifft deine Heilung des Aussätzigen auch mich ganz persönlich. Wie sehr sehne ich mich oft danach, einem Menschen zu begegnen, der mich an sich herankommen lässt, der mich und meine Anliegen und Sorgen ernst nimmt, ja mit mir tragen möchte. Wie berührt es mich, wenn ein anderer sich berühren und mein Schicksal in sein Herz hineinlässt. Das ist doch hilfreicher als alle guten Ratschläge!
So halte ich dir jetzt auch mein Herz hin, meine Wunden, meinen Aussatz! Sie sind bei dir gut aufgehoben, du verstehst mich, und du kannst ihn sogar heilen! Ich vertraue mich dir an: Führe und begleite du mich auf meinem Weg hin zu immer größerem Heilsein, zu Tiefe, Fülle und Erfüllung meines Lebens! Amen.
