Macht der Bilder
„Ein Bild sagt mehr als tausend Worte.“ Dieses Sprichwort gilt in Zeiten von Corona und Flüchtlingsbewegungen mehr denn je. Als Sicherheitsbeamte plus Hundestaffel im Morgengrauen die kleine Tina aus Georgien samt Familie zur Abschiebung abholten und deren protestierende Mitschüler weggetragen haben, da hat keine Message Control funktioniert. Da konnten Kanzler und Innenminister später noch so sehr auf die vielen abgelehnten Asylanträge der Familie verweisen („Recht muss Recht bleiben“). Viele Abschiebungen von Kindern samt Familien sind unbeachtet geblieben, bei den emotionalen Bildern dieser Aktion aber hatten es die bloßen rechtlichen Fakten schwer. Das gilt auch umgekehrt. Dem Anwalt von Tina ist es gelungen, Medien ein angebliches Foto jener armseligen Schule in Georgien zu übermitteln, in die Tina jetzt gehen muss. Das Foto zeigte aber einen nicht mehr benutzten baufälligen Teil. Die wirkliche Schule sieht ganz passabel aus, wie etwa der „Standard“, der das erste Foto gezeigt hatte, zerknirscht eingestehen musste. Da haben sich manche Kritiker der Abschiebung gedacht: Na, so schlimm ist die Sache für Tina auch wieder nicht.
Politik ist immer auch Inszenierung. Wenn der Innenminister mit aufgekrempelten Ärmeln in einer Frachtmaschine „mithilft“, österreichische Hilfsgüter ins Flüchtlingslager Kara Tepe zu liefern, dann will er zeigen, dass Österreich ja doch ein Herz für Flüchtlinge habe.
Doch diese Bilder haben keine Chance gegen die stärkeren von den unter Wasser stehenden Zelten der Flüchtlinge. Wenn Werner Kogler, mit durchaus vertretbaren Argumenten, in der ZiB 2 die Haltung der Grünen zur Causa Blümel darlegt, dann hat der Inhalt seiner Antwort wenig Chancen, wenn seine Körpersprache signalisiert, wie unwohl er sich dabei fühlt. Wenn die Erstürmer des Capitols in Washington Scheiben einschlagen, dann hat das mehr Aussagekraft über Gewaltbereitschaft als jedes gesprochene Wort darüber.
Mich erreichen zu Kommentaren über die Demonstrationen der Corona-Leugner Mails von Leuten, die meinen, sie kämpften nur um Grundrechte. Dann sehe ich die Fotos von einer Demo in Bludenz. Ein Schild: „Neuwahl ohne Briefwahl“ – was hat das denn mit Corona zu tun? „Freiheit statt Angst“ – ja lasst euch halt testen und impfen, das nimmt die Angst. „Rücktritt Regierung und Bundespräsident alternativlos“ – ja was kann denn Van der Bellen für das Virus? „Kurz muss weg“: Entlarvender als diese Bilder kann man nicht zum Ausdruck bringen, wie sehr viele Demonstranten für politische Zwecke missbraucht werden. Da gehört wohl eine gehörige Portion Naivität dazu, nicht zu merken, woher der Wind weht.
Experten wie Christian Drosten in Deutschland oder Gerald Gartlehner in Österreich erklären sachlich die Lage. Aber bei all ihrer Kompetenz: Was wirklich hineingeht, ist die Schilderung eines 66 Jahre alten Covid-Patienten in der ZiB 2, wie mühsam auch nach Monaten für ihn das Treppensteigen ist. Wenn die Leiterin des Jüdischen Museums in Wien, Danielle Spera, die Spätfolgen von Covid schildert: „Etwa sechs Wochen nach der Erkrankung traten wieder hohes Fieber und starke Lungenschmerzen auf, dazu kam Atemnot.“ Oder wenn der „Kurier“ gerade auf der Titelseite die Fotos von Covid-Opfern zeigt mit der Schlagzeile: „Sie hatten noch viel vor.“ Kann sein, dass Bilder wie diese zur nunmehr steigenden Impfbereitschaft führen. Zum Nachdenken bei den Demo-Teilnehmern leider nicht.
„Wenn die Erstürmer des Capitols in Washington Scheiben einschlagen, dann hat das mehr Aussagekraft über Gewaltbereitschaft als jedes gesprochene Wort darüber.“
Wolfgang
Burtscher
wolfgang.burtscher@vn.at
Wolfgang Burtscher, Journalist und ehemaliger ORF-Landesdirektor, lebt in Feldkirch.
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