Aller Augen warten auf dich
Bitte nicht auf mich, oh Herr, ich bin noch nicht fertig. Der kleine Mann stand auf einem Stuhl, der wackelte. Er stieg wieder herab, faltete ein Stück Papier und legte es unter das kürzere Stuhlbein. Er stellte sich wieder auf den Stuhl, reckte die Arme in die Höhe. Da fiel ihm ein, dass er das Licht vergessen hatte, die Glühbirne. Also bewegte er sich wieder nach unten, nahm die Glühbirne aus der Schachtel, stieg wieder auf den Stuhl, reckte erneut die Arme und tastete mit der rechten Hand nach der leeren Fassung, versuchte zitternd, die Glühbirne einzuschrauben. Gleich gelang es ihm nicht. Er drehte, rutschte ab und drehte erneut. Dann kam er wieder auf dem Boden zu stehen, betätigte den Lichtschalter. Es leuchtete. Es leuchtete! Der kleine Mann stieß einen tiefen Seufzer aus und hielt sich an der Stuhllehne fest.
Also dann. Er konnte mit der Aufgabe beginnen, die ihm aufgetragen worden war. Als Probe sozusagen. Würde er sie bestehen, könnte er Arbeit gefunden haben. Endlich. Es war nämlich mühsam für den kleinen Mann, Arbeit zu finden.
Ihm war aufgetragen worden, sämtliche Glühbirnen nach Größe zu ordnen. Es gab viele Größen verschiedenster Art, die musste er aussuchen und zuordnen. Wie sollte er anfangen? Womit? Er leerte eine Schachtel aus, verpackte Glühbirnen landeten auf dem Boden. So viele. Die zweite Schachtel leerte er aus. Nein. So ging das nicht.
Er nahm von der Wand Kartons und versuchte, daraus Schachteln zu formen, es gelang. Zehn an der Zahl wollte er gestalten. Dazu brauchte er einen ganzen Tag. Er arbeitete aber noch weiter, bis in die Nacht hinein. Er würde sich in diesem Raum in einer Schachtel einrollen und die Nacht verbringen. Am nächsten Morgen ordnete er die Glühbirnen nach Größe und legte sie brav in den leeren Karton. In eine Reihe passten zehn Stück. Sechs Reihen, sechzig Stück, dann aufeinander gestapelt in zehn Reihen, sechshundert Stück, eine Schachtel war fertig. So ging es weiter, bis zehn Schachteln voll waren, nach Größe, nach Form geordnet. Gleich käme der Herr und würde entscheiden, ob der kleine Mann ein fähiger Mann war. Der kleine Mann flatterte vor Aufregung. Das Hemd war ihm aus der Hose gerutscht. Er strich es glatt, schlüpfte in seine Sandalen, die hatte er ausgezogen, um besseren Halt zu haben. Er fuhr sich über die Haare, ging zum Wasserhahn, wusch sich das Gesicht und die Hände, benetzte seine Augen, die brannten. Er ging rückwärts zur Wand und betrachtete sein Werk mit den aufgeräumten Glühbirnen. Der kleine Mann glaubte sich am Ziel.
„Gleich käme der Herr und würde entscheiden, ob der kleine Mann ein fähiger Mann war.“
Monika Helfer
monika.helfer@vn.at
Monika Helfer ist Schriftstellerin und lebt in Hohenems.
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