Blümelweiße Weste
VP-Finanzminister Gernot Blümel sitzt als Beschuldigter gestern vier Stunden zur Einvernahme bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft. Der streitbare konservative Spitzenbeamte Christian Pilnacek wird von der Staatsanwaltschaft Wien in einem anderen Verfahren ebenso als Beschuldigter geführt und suspendiert. Sein Anwalt, der ehemalige ÖVP-Justizminister und heutige Verfassungsrichter Wolfgang Brandstetter, muss sich ab sofort ebenso den Satz gefallen lassen, dass für ihn die Unschuldsvermutung gilt. Alles das Ergebnis der vergangenen Stunden: selbst für österreichische Verhältnisse alles andere als eine normale innenpolitische Woche.
Die Wickel der ÖVP mit den Korruptionsermittlern bauten sich schon länger auf. Über uneingeschränktes Vertrauen verfügen beide Institutionen – die ÖVP und die WKSta – leider nicht. Insbesondere durch die Anzeige einer kritischen Journalistin durch die WKSta wegen Verleumdung, übler Nachrede und Beleidigung einer Behörde wurde zuletzt tatsächlich eine rote Linie überschritten. Mit Bezug auf eine Stellungnahme des früheren OGH-Präsidenten Eckart Ratz hieß es im Artikel der Presse-Journalistin, dass die Praxis mancher Staatsanwälte, bei Hausdurchsuchungen einfach alles mitzunehmen, um darin nachträglich Verfängliches zu suchen, abgestellt werden müsse.
Vor allem die Hausdurchsuchung bei einem amtierenden Finanzminister ist Neuland in Österreich. Die Korruptionsermittler müssen handfeste Hin- und Beweise für eine im konkreten Fall vermutete Gegenleistung vorliegen haben.
Die spektakuläre Hausdurchsuchung beim engsten Verbündeten von Sebastian Kurz hat das dominierende Thema für die ÖVP-Chefetage bestimmt: Korruption. Bislang konnte dies gänzlich auf die FPÖ und ihre Night in Ibiza abgeschoben werden, von der äußerlich runderneuerten Teflon-ÖVP perlte alles ab. Nun brennt’s an.
Kurz und Blümel müssen sich heute fragen, ob ihre Reaktionen auf die Fragen im Ibiza-U-Ausschuss richtig waren, denn die (zu) überheblich artikulierten Erinnerungslücken halfen tatsächlich keinen Millimeter in der Beruhigung.
Dass Bundeskanzler Kurz selbst in die Tasten haut, sich in das Verfahren einmischt und den “sehr geehrten Damen und Herren” der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft einen Brief schreibt, wirft mehr Fragen auf, als dies Antworten gibt.
Auf was die Öffentlichkeit, auch die Beschuldigten, vermutlich noch lange warten müssen, ist eine plausible Begründung der Korruptionsermittler, ob die schroffe Vorgehensweise der Hausdurchsuchung beim amtierenden Finanzminister das Gebot der Angemessenheit der Maßnahme erfüllen wird.
Jedenfalls nicht angemessen ist die Reaktion. Dass die höchste Riege der ÖVP nun innert Tagen alle möglichen ihr plötzlich opportun erscheinende Ideen zur Schwächung der WKSta aufbringt, spricht Bände: von Einschränkungen über das, was Medien berichten dürfen bis hin zu dem Wunsch, die WKSta möglichst vierzuteilen. Das ist das Gegenteil von besonnenem Vorgehen.
Mit der aktuellen Ressortverteilung von Türkis-Grün und dem lange, lange schwelenden Justizstreit haben die Ereignisse der vergangenen Tage durchaus die Sprengkraft einer veritablen Regierungskrise.
Im fraglichen Brief an die Korruptionsermittler fürchtet der Bundeskanzler einen “Reputationsschaden für die Bundesregierung” und schließt daraus auf einen Reputationsschaden “für die gesamte Republik Österreich”. Kurz muss sich bewusst sein, dass dazu alle handelnden Personen – die ÖVP eingeschlossen – derzeit genügend Beiträge leisten.
Obwohl die ÖVP – mit angeblich blümelweißer Weste – die Ermittlungen ja ruhig und tapfer über sich ergehen lassen könnte und die Energie in dieses andere Thema stecken könnte …
… die Bekämpfung der Pandemie.
Gerold Riedmann
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Gerold Riedmann ist Chefredakteur der Vorarlberger Nachrichten.
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