Mit scharfem Blick für die Heimat

Mundartdichterin Sieglinde Fitz ließ sich von 13 Enkeln und 22 Urenkeln zum 95. Geburtstag gratulieren.
Lustenau Vor einem halben Jahr konnte Sieglinde Fitz die Vollendung ihres 95. Lebensjahres feiern. Wenn auch ihr Körper sehr müde und gebrechlich geworden ist, innerlich fühlt sie sich gesund und voller Lebenskraft. Man könnte stundenlang mit ihr über Gott und die Welt plaudern. Gott ist es auch, der der ältesten Tochter des Heimatdichters Hannes Grabher diese innerliche Kraft verleiht. So kennt die betagte Frau auch keine Angst vor dem Tod, denn sie ist überzeugt: „Der mich ein Leben lang geführt hat, wird mich auch führen, wenn meine letzte Stunde schlägt.“
Die Impfung gegen Corona hat sie ohne jegliche Beschwerden überstanden und sie hatte seit dem Ausbruch der Pandemie nie Angst vor der Krankheit. Aber die Situation als solche empfindet sie als bedrückend, weil es die ganze Welt bedrückt. Sie leidet mit den anderen und es erinnert sie an die Sorgen und Ängste, die sie während des Krieges hatte.
Sieglinde Fitz wuchs sehr behütet in einem Elternhaus auf, in dem kluge und kreative Leute ein und aus gingen. Sie würde es den heutigen Kindern gönnen, es auch so schön zu haben, mit dieser Gemütlichkeit, der Einfachheit und Ruhe. Mit einem Stück Brot und einem Apfel als Jause waren sie damals zufrieden. Da sie nichts anderes kannten, hätten sie die Entbehrungen nicht als solche empfunden, wobei sie anmerkt, dass es in ihrem Elternhaus an nichts mangelte, es jedoch auch wirklich arme Menschen gab.
Geborene Lehrerin
Sieglinde wäre gern Lehrerin geworden, aber sie schreckte davor zurück. Kurz bevor sie ausgeschult wurde, war Hitler an die Macht gekommen und sie erlebte hitlertreue Klassenkameradinnen, die sich unverschämt gegen die Lehrpersonen auflehnten. Unentschuldigt entfernten sich diese z.B. aus dem Unterricht, mit der Erklärung, sie müssten nach Hause, um das Haus zu beflaggen. Und die Vorstellung, die Ideen des Führers zu lehren und mit den Schulkindern für ihn beten zu müssen, so, wie sie es mussten, hielt sie vor der Ausbildung ab.
Ihr Mann Hans nannte sie oft „meine Königin“. Eine sehr große Liebe verband das Paar, das sich schon im Teenageralter die Ehe versprochen hatte. Kriegsbedingt mussten sie sehr lang auf den Tag ihrer Hochzeit warten, doch 1950 war es soweit: Sie heirateten und konnten in ihr neues Haus einziehen und in den folgenden sechs Jahren kamen ihre fünf Töchter zur Welt.
Große Familie
Später ist die Familie um 13 Enkel und 22 Urenkel gewachsen. Vor zwanzig Jahren musste Sieglinde Fitz den Tod ihres Mannes hinnehmen und 2004 starb ihre dritte Tochter, Agnes. Dass sie so gut mit diesen Verlusten umgehen konnte, ist wieder ihrem starken Glauben zu verdanken. Sie weiß ihre Liebsten in besten Händen und dass sich die Familie ihrer verstorbenen Tochter so gut entwickelt hat, ist ihr ein großer Trost. Den größten Schmerz ihres Lebens empfand sie, als ihr ihr Pflegekind Lili, das sie mit vier Monaten in ihre Obhut genommen hatte, nach fünf Jahren von heute auf morgen entrissen wurde. Noch heute ist sie mit der in Belgrad lebenden Frau, die inzwischen selbst Mutter ist, innig verbunden.
Einen Baustein leisten
Als alteingesessene Lustenauerin empfindet sie „die Bauerei“ als furchtbar, denn das Bild der Gemeinde veränderte sich in den letzten Jahren rapid. Es tut ihr weh, wenn die schönen alten Häuser der Reihe nach verschwinden. Auch die geplante Straße durch das Ried schneidet ihr ins Herz. Trotzdem steht sie der Entwicklung aufgeschlossen gegenüber. „Man muss vorausschauen“, wirft sie ein. „Die Jungen werden sich daran gewöhnen. Meiner Meinung nach ist der Schöpfungsplan noch nicht vollendet – das Leben muss sich immer weiter entwickeln. Jede Generation muss nach ihren Möglichkeiten ihren Baustein dazu leisten. Wir möchten ja keine Neandertaler sein. Wir alle sind für die Welt von morgen verantwortlich.“ VV
„Man muss voraus schauen. Wir alle sind für die Welt von Morgen verantwortlich.“