Rechtlos
Als es vor einem Jahr losgegangen ist mit der Pandemie, hat Recht der Politik folgen müssen: Bei einzelnen Beschränkungen war es schwer möglich, darauf zu achten, ob sie gesetzes- und verfassungskonform sind. Es handelte es sich um einen Ausnahmezustand. Da konnte man durchaus Verständnis für die Bitte von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) aufbringen, Beschlüsse nicht überzuinterpretieren.
Der Kanzler glaubte damals wie viele andere Menschen, dass der Spuk bald vorbei sein wird. Bis der Verfassungsgerichtshof entschieden hat, ob alles auf Punkt und Beistrich in Ordnung ist, sei es ohnehin nicht mehr in Kraft, so Kurz im Frühjahr 2020.
Ein Irrtum. Umso verwerflicher ist, dass dieser Umgang mit dem Recht zum Dauerzustand geworden ist. Jüngstes Beispiel: Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) bemüht sich um eine Verschärfung des Epidemiegesetzes. Anstelle einer sechs- hat er eine einwöchige Begutachtung vorgesehen. Geplant ist, nicht nur das „Zusammenströmen größerer Menschenmengen“ unter Strafe stellen zu können, sondern jede Kaffee- oder Jassrunde bzw. jede Zusammenkunft ab vier Personen aus mindestens zwei Haushalten. Und: Ausgangsbeschränkungen sollen nicht erst bei einem drohenden Zusammenbruch des Gesundheitssystems möglich werden, sondern bereits zur Vermeidung einer unkontrollierbaren Ausbreitung der Infektionen.
Da geht der Staat extrem weit, ohne sich die Mühe zu machen, eine Auseinandersetzung zu führen und zu erklären, warum das so überfallsartig beschlossen werden „muss“. Allein das macht die Sache zweifelhaft. Es ist außerdem dazu angetan, noch größeren Unmut in Teilen der Bevölkerung zu provozieren. So gesehen handelt es sich auch um Selbstbeschädigung.
Keine Frage von Neid
Vor nicht allzu langer Zeit hat man noch schmunzeln können über den Spruch, dass das Recht nicht vom Volk, sondern dem Volk das Recht ausgehe. Mittlerweile ist das anders. Zu ernst sind die Tendenzen. Beim „Grünen Pass“, der vor allem Erleichterungen für Geimpfte bringen soll, geht es beispielsweise nicht nur um Annehmlichkeiten, wie eine Reise irgendwohin; es geht um viel mehr als Neid und Missgunst bei denen, denen das aufgrund des Impfstoffmangels in den nächsten Monaten vorenthalten bleibt: Dem Reiseführer etwa, der im Unterschied zu einem Kollegen noch nicht das Glück hatte, einen Termin zu bekommen, könnte grobes Unrecht entstehen. Im schlimmsten Fall bleibt er in seiner Erwerbsfreiheit beschränkt in einer existenziellen Krise. Das sollte man bedenken.
Von einer solchen Achtsamkeit ist man jedoch weit entfernt. Es gibt ja nicht einmal eine verbindlich Reihung für die unendlich wertvollen Impfungen. These: Hier ist bewusst ein rechtsfreier Raum geschaffen worden, um Kleinkorruption in Form des sogenannten Vordrängelns von Bürgermeistern und anderen Privilegierten gedeihen zu lassen.
„Nicht nur größere Zusammenkünfte sollen unter Strafe gestellt werden können, sondern jede Kaffee- oder Jassrunde.“
Johannes Huber
johannes.huber@vn.at
Johannes Huber betreibt die Seite dieSubstanz.at – Analysen und Hintergründe zur Politik.
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