Modellregion
Hurra, wir sind bei Corona eine Insel der Seligen. Haben wir mit unseren niedrigen Fallzahlen nur Glück gehabt, wie die „Salzburger Nachrichten“ meinten? Natürlich, Grenzlage und erschwerte Übertritte, neuerdings auch nach Tirol, haben einen Beitrag geleistet. Ich bin kein Freund der These, dass wir besser als die übrigen Österreicher seien, aber bei Corona scheint eine pragmatische Einsicht dazu zu führen, dass Vorarlberg durch Abstandhalten, Masken und Testen (Selbsttests rasch ausverkauft!) ab nächster Woche mehr darf als andere. Hallo, ihr Corona-Besserwisser und Ohne-Masken-Demonstrierer: Disziplin lohnt sich! Im Interesse von uns allen, auch der Corona-Leugner, aber auch im Interesse des Tourismus, der geplagten Kinderseelen, der gestressten Eltern, der Schüler, der Lehrerinnen, der Kulturschaffenden und Amateursportler, die allerdings noch immer nicht wissen, was sie dürfen werden und was nicht.
„Wenn schon Testregion, dann sollte auch ein Mehrwert für ganz Österreich herausschauen.“
Wenn sich die Dinge nicht dramatisch ändern, sind wir bald Modellregion. Genügt es wirklich, dass man bei uns nur etwas mehr darf? Nein. Wenn schon Testregion, dann sollte auch ein Mehrwert für ganz Österreich herausschauen. Wir werden uns auf eine Wiederkehr der Seuchen einstellen und die Vorsorge schärfen müssen. Da lohnt ein Blick in die Schweiz, für viele von uns ein Vorbild. Tanja Stadler, ETH-Professorin und Mitglied der Schweizer Corona-Task Force, hat dazu in einem Interview mit dem Online-Portal der NZZ bemerkenswerte Vorschläge gemacht. Sie verweist darauf, dass die asiatischen Länder, die die Pandemie deutlich besser in den Griff bekommen haben, durch frühere Pandemien wie SARS wachgerüttelt, Strukturen aufgebaut haben, die wir in Europa noch immer nicht haben. Und zwar nicht nur Länder mit einem totalitären Regime. Das Zauberwort heisst Digitalisierung. Das erlaubt eine extrem schnelle Weiterverfolgung bei Corona-Ansteckungen, was zur Aufarbeitung der Krise wesentlich ist.
In Asien wurden die Daten überregional vernetzt. Davon sind wir meilenweit entfernt. In Wien wurden noch im Herbst Test-Ergebnisse telefonisch oder per Fax mitgeteilt. Bei uns wird auch gern der Datenschutz ins Spiel gebracht. Stadler: „Der wird oft nur vorgeschoben. Zwischen der extremen Überwachung von allem, und dem, was wir tun, gibt es viel Spielraum.“ Tatsächlich würde eine bessere Nutzung der Corona-App, die weder bei uns noch in der Schweiz funktioniert, eine große Erleichterung bei der Weiterverfolgung bedeuten. Viele geben, ohne es zu merken, täglich Daten im Internet preis, aber wenn man bei der Corona-App mitwirken soll, hat man plötzlich Bedenken. Wie wäre es also, wenn unsere Modellregion zu einer Wiederbelebung der Corona-App beiträgt? Durch eine Kampagne der Landesregierung und die Schaffung entsprechender Strukturen bei Ärzten und Spitälern?
Stadler nennt als Beispiel den Restaurant-Besuch und die Angaben mancher Gäste über ihre Identität, die etwa angeben, Donald Duck zu heißen. „Warum erfolgt die Erfassung nicht über QR-Code oder andere digitale Möglichkeiten?“, fragt die Expertin. Auch ein Vorschlag für die Modellregion. Doch in Österreich schlägt man sich lieber mit Reflexen herum. Die Ärztekammer beäugt eifersüchtig, was denn die Apotheker dürfen. Östliche Bundesländer sind auf Vorarlberg neidisch. Wer sich bei ELGA abgemeldet hat, bekommt keine Gratistests – ja wie soll man möglichen Missbrauch denn anders kontrollieren als digital? Haben wir aus den Versäumnissen des letzten Sommers noch immer nichts gelernt?
Wolfgang Burtscher, Journalist und ehemaliger ORF-Landesdirektor, lebt in Feldkirch.
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