„Geblieben ist bei den Japanern eine Portion Scham“

Tokio Der Lustenauer Dieter Haberl lebt seit 24 Jahren in Tokio. Er arbeitet dort als Vertreter eines italienischen Herstellers von Lederwaren. Der 58-Jährige hat jene dramatischen Tage des Tsunamis und des fatalen Reaktorunfalls im nationalen Gemütszustand der Japaner miterlebt.
Marsch der Millionen
„Es wurden nach dem Erdbeben alle U-Bahnen in Tokio stillgelegt. Ich werde nie mehr vergessen, wie Millionen von Menschen sich zu Fuß nach Hause auf den Weg machten. Noch weniger werde ich die Disziplin vergessen, mit der sie das taten“, erinnert sich Haberl, der seit 24 Jahren in Tokio lebt. Große Lebensmittelgeschäfte hätten damals den Leuten gratis Wasser und Reis gereicht. „Die Leute sind geduldig in langen Schlangen angestanden. Es gab null Panik.“
Eine kollektive Betroffenheit im Land spüre er heute nicht. „Ich orte eher eine Portion Scham. Scham darüber, dass man den Schutz der Atomanlage in Fukushima damals nicht im Griff hatte.“ Der Jahrestag würde im Land der Katastrophe ruhig begangen. „Er wird von den Medien getragen, weil man sich nicht treffen kann.“
Obwohl Japan weiter auf die Atomkraft setzt, fühlt sich der Lustenauer in seiner Wahlheimat sicher. Er hat sich im Umland der Hauptstadt ein Haus gekauft. „Auf der Höhe und erdbebensicher, um möglichen Tsunamis und Erschütterungen vorzubeugen.“
Was bei ihm von Fukushima übrig bleibt? „Die Erkenntnis, sich in solchen Katastrophensituationen gut zu informieren. Ich tat das damals bei der britischen Botschaft. Von dort erhielt ich im Gegensatz zu anderen Stellen seriöse Informationen.“
Dieter Haberl hat vor zehn Jahren den VN regelmäßig seine Eindrücke geschildert. VN-HK